Der Einbruch des Grauens

Das große Kind und der Krieg: Steven Spielberg und der ewige Mythos der medialen Repräsentation  ■ Von Jan Distelmeyer

1994 brach eine neue Zeitrechnung an. Nach 20 Jahren und 14 Kinofilmen war es soweit: Steven Spielberg gewann für Schindlers Liste seine ersten zwei Oscars und wurde – das war die eigentliche Sensation – von der Kritik für künstlerisch volljährig erklärt. Gerade die Verantwortlichen des deutschen Feuilletons beeilten sich, dem Regie-Star Hollywoods mit nunmehr 48 Jahren endlich den Erwerb der kulturellen Hochschulreife zu attestieren: „Mit Schindlers Liste hat Steven Spielberg die oft kindliche Perspektive früherer Filme abgelegt.“

Steven Spielberg – dieser Name war bis dato vor allem mit E.T., der Indiana-Jones-Trilogie, Hook und natürlich Jurassic Park verbunden. Diese Mischung von Kindern, Action und Abenteuer führte in der Logik der Regisseur-fixierten Bedeutungssuche fast automatisch zu der Kritiker-Verdrängungsleistung, das eigene (natürlich „kindliche“) Vergnügen beim Betrachten auf den Macher zurückzubinden. Selbstverständlich war Spielberg „der große Junge Hollywoods“. Kein Wunder also, daß angesichts von Schindlers Liste das generöse Eingeständnis von Spielbergs Reifeprozeß folgen mußte – wie sonst hätte man den Weg „von Hollywood zum Holocaust“ erklären können?

In dieser großzügigen Versetzung des Unterhaltungskünstlers von der U- in die E-Klasse – die sich beim heute startenden Der Soldat James Ryan bemerkenswerterweise wiederholt – spiegelt sich auf fatale Art die Qualität der Filme, die Spielberg zum erfolgreichsten Filmregisseur aller Zeiten gemacht haben. Was sie in ihren besten Momenten auszeichnet, ist die Perfektion, mit der die Illusion im Kino für uns Wahrheit wird. Und da spielen weniger Denk- als vielmehr emotionale, fast körperliche Prozesse eine Rolle.

Auf eine Art geht es in fast allen großen Spielberg-Erfolgen darum, den Einbruch des Phantastischen respektive des Furchtbaren in die Realität glaubhaft zu machen. Ganz gleich, ob es sich um phantomhafte LKWs (Duell), überdimensionale Raubfische (Der weiße Hai), verhutzelte Außerirdische (E.T.), gigantische Ufos (Unglaubliche Begegnung der dritten Art), aus Mückenblut rekonstruierte Saurier (Jurassic Park I & II) oder eben um „den Holocaust“ (Schindlers Liste) beziehungsweise „Die Bestie Krieg“ (Der Soldat James Ryan) handelt. Das Wort vom „großen Kind“ erzählt somit nicht zuletzt von der Wirkung dieser Überredungskunst, von der verdrängten, gleichsam entschuldigten Faszination des Spielberg-Kinos.

Dessen typische Taktik besteht darin, das Phantastische immer schon spürbar werden zu lassen, lange bevor es zum ersten Mal auf der Leinwand sichtbar wird. Die Bedrohung des weißen Hais etwa, dessen subjektive Perspektive ihn fühlbarer ankündigt als die bewährte Rückenflosse, ist vor seinem Auftritt ausgiebig an seinen Opfern zu studieren. Die unwiderstehliche Kraft der Saurier teilt sich eindrucksvoll genug durch panische Sicherheitsvorkehrungen, zerrissene Wärter, wankende High-Tech-Käfige und vibrierende Wassergläser mit. Eine bewährte amerikanische Erzähltechnik – Melvilles Klassiker Moby Dick hatte diese Strategie schon vor 150 Jahren zur Perfektion gebracht.

Ein anderes dramaturgisches Prinzip, das vor allem bei Schindlers Liste und Der Soldat James Ryan wirkt, hat nicht weniger mit Vorbereitung zu tun. Hier geht es um ein Abrufen offizieller Bilder von Geschichte, um das Nutzbarmachen und Fortschreiben von so etwas wie einem kollektiven Gedächtnis. Die schwarz-weißen Bilder von Schindlers Liste und die auf Wochenschau getrimmte Filmqualität von Der Soldat James Ryan spekulieren auf unsere Erinnerung an historische Aufnahmen – so und nicht anders sieht der Holocaust beziehungsweise der Zweite Weltkrieg aus. Auf diese Weise kommt die Grenze des Hollywood-Kinos in diesen Filmen zum Vorschein, ohne selbst je zum Thema zu werden: Was hier lebendig und schmerzlich erlebbar wird, kann nichts anderes als der Mythos der medialen Repräsentation sein. Das Abbild vom Abbild.

Wenn man so will, dann leisten alle Spielberg-Werke in erster Linie Überzeugungsarbeit. Während diese aber in Schindlers Liste als geradezu klassisches Melodram geschieht und sich eben über diese sichtlich stilisierte Form die Kraft des Films entwickelt, gibt sich Der Soldat James Ryan von Anfang an den Gestus eines authentischen Kriegsberichtes. Schon damit hatte dieser Film den ersten Schritt in eine Richtung gemacht, die in letzter Konsequenz zu einer mythologisierenden Propaganda gegen einen geschichtslosen „Erzfeind Krieg“ führen muß. Insofern bewegt sich Spielberg wieder auf bewährtem Spielfeld – und hat doch zugleich Neuland betreten.

Eine ausführliche Rezension zu „Der Soldat James Ryan“ lesen Sie im überregionalen Teil der taz.