Zwei Eßlöffel Pose

Musiker, Manager, jetzt auch Regisseur: Andreas Dorau und sein Flachland-Film „Die Menschen sind kalt“  ■ Von Holger in't Veld

Deutschlands Popstar Nummer 3 nach Marlene Dietrich und Romy Schneider“, so die Werbung der Plattenfirma, trägt einen blondierten Mittelscheitel, der manchmal aussieht, als wäre er eine Perücke. Ein kleines Haarbüschel hängt an seinem Kinn. Vor vier Jahren, als Andreas Dorau Neu! war, war es ein richtiger Bart, dazu Zöpfe und Kleid. Das war typisch Dorau: ein Quentchen Gesellschaftskritik (in Form von Gender-Spielerei), zwei Eßlöffel Pose und ein plakativer, dabei aber auf halber Strecke erwürgter Humor. Heidi-Humor. NDW-Humor. Deutsch-Humor. Also auch irgendwie Tragik.

Neu! war, 14 Jahre nach seiner ersten Single, Doraus Einstieg ins große Geschäft in Form von Motor Music, der Jugendkultur-Zentrale am Holzdamm, deren Logo auch das Papier ziert, dem obiges Zitat entnommen ist. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Waschzetteln, die geistig fern vom Subjekt entstehen, dürften diese Anpreisungen Doraus Wohlgefallen gefunden haben. Wenn ein Künstler die beliebte Floskel der totalen Selbstbestimmung aller Aspekte seiner Vermarktung lebt, dann Andreas Dorau. Zu diesem Zweck begibt er sich täglich in das Bürohaus am Hauptbahnhof, wo seine Plattenfirma residiert. Dort hat er einen Schreibtisch und ein Telefon, das zwar nicht „Du“ sagt, dafür aber dienlich ist, die Geschäfte am Laufen zu halten. Dorau, der einzige Pop-Musiker, der seine Geschicke aus den Räumen seines Labels heraus selbst verwaltet. Ein Star zum Anfassen. ein alltäglicher, bescheidener Star, kleine Kunst.

Sein neuestes Erzeugnis bricht insofern schon in der Form mit dieser Tradition, denn es ist ein Kinofilm mit vollen 90 Minuten. Damit das nun nicht ausartet, sondern beiläufig bleibt, hat er die Handlung auf ein Minimum reduziert und als Geld und Ideen ausgingen, schnell noch seine alte Abschlußarbeit von der Filmhochschule eingefügt – fertig ist eine assoziative Flachland-Tragikomödie, die von Monty Python stammen könnte – wenn diese aus Emden kommen würden. Und auf Tranquilizern wären.

Die Menschen sind kalt, in Anbindung an eine gleichnamige Single entstanden und vom Video zum Spielfilm angewachsen, ist je nach Standpunkt lakonisch oder fade. Hier finden wir das landläufige Identifikationsmodell der Turnschuh-Generation: Der am Leben vorbeiziehende Nicht-Held (Heiner Ebber, sonst Schlagzeuger der lokalen Punk-Größe Dackelblut), trifft auf Nicht-Schurken (Horst Frank) und Nicht-Traumfrauen (Dolly Dollar) und verliert sich in Träumen, Alkohol und der unerschütterlichen Realsatire ländlicher Rituale, die dem urbanen Publikum immer wieder Freude und Selbstbestätigung schenkt.

„Wir sind nunmal norddeutsch“, sagt Dorau zum naheliegenden Detlef-Buck-Vergleich, „also spielt das halt nicht in den Alpen.“ Solche Sachen sagt er immer. Kein Nachdruck, keine Emphase, bloß keine Zuordnung. Dorau ist neben und zwischen allen und allem. Das ist seine Tragik, das ist seine Stärke. Er ist nicht Pop, weder in Dieter Bohlens, noch in Guildo Horns Sinne. Tocotronic? Zu abgeklärt. Elektronik? Zu Bubblegum. Helge Schneider? Kein Interesse. Eher schon Bravo. Andreas Dorau ist mit jeder Platte, jedem Produkt mehr eine große, arbeitende Plattensammlung, viel mehr Beobachter als Beobachteter. Jeder Schritt ist bewußt und abgesichert. Eine eigenwillige Mischung aus privatistischem Bastlertum – Sampling, Durchlauferhitzung – und immer wieder überprüfter Pose. Das funkt nicht und macht keine Explosionen. Mit einer Single gesprochen: So ist das nun mal. Eine deutsche Geschichte, in jeder Hinsicht. Will sagen: gebrochen im Willen zum Pop, mißtrauisch gegenüber der Pointe. Andeutungen, Möglichkeiten. Wer möchte, darf anläßlich des Films und der momentanen Alien-Hysterie über Doraus Lebensklammer sinnieren: die Kuh, die zum möglichen Happy-End ins All entschwindet, aus dem uns einst Fred vom Jupiter besuchte. Aber mit solch großen Entwürfen bleibt der Hörer allein. Andreas Dorau will und wird uns nicht an der Hand nehmen. Es ist alles nur Musik.

„Die Menschen sind kalt“ läuft morgen, Sonnabend und Sonntag, jeweils 22.45 Uhr, im Zeise-Kino.