„Überflüssig zu werden ist Utopie“

Kampf um Autonomie: Hamburgs Frauenhäuser präsentieren Broschüre  ■ Von Heike Dierbach

„Da war ich einen Moment lang richtig entspannt und glücklich.“ Ein Moment Glück für eine Frau, die Jahre voller Gewalt und Angst hinter sich hat, ist eines der „Produkte“ der Arbeit in den fünf Autonomen Hamburger Frauenhäusern, die im vorigen Jahr ihren zwanzigsten Geburtstag feierten. Quasi als verspätetes „Geschenk“ haben die Häuser einen umfangreichen Reader zu ihrer Geschichte, Gegenwart und Zukunft erstellt, der gestern vorgestellt wurde.

Die Chronologie am Anfang des Buches erzählt nicht nur von der kleinen Gruppe, die 1976 die erste Frauenhausinitiative gründete, von zähen Verhandlungen mit den Behörden um Geld und von rauschenden Festen, sondern auch von Christel, Azam, Parivasch, Medgan und den Kindern Jennifer und Daniel, die von männlichen Familienangehörigen ermordet wurden, nachdem sie im Frauenhaus Schutz gesucht hatten. Sie erinnert auch daran, daß „Frauenhäuser von Anfang an nicht die eigentliche Lösung waren“, wie es Mitarbeiterin Verena Roller-Lawrence formuliert. Schon im Vorwort sprechen Gunda Ennen und Kerstin Meyer von dem Traum, daß Schutz vor Männergewalt „überflüssig“ wird, weil es keine Männergewalt mehr gibt.

„Aber das bleibt eine Utopie“, weiß Mitarbeiterin Gülseren Kaya. Dennoch gebe es in ihrem Beruf nicht nur traurige und belastende Erlebnisse – im Gegenteil. „Zu sehen, daß eine Frau gebeugt in das Haus kommt und aufrecht wieder geht, ist unheimlich schön“, berichtet die lebhafte Frau, die selbst ehemalige Bewohnerin eines Frauenhauses ist. Auch Mitarbeiterin Birgit Wiesner erinnert sich an „so viel sprühendes Leben“. Dabei ist es für die unterschiedlichen Frauen und ihre Kinder oft nicht leicht, sich über Monate ein Zimmer, Küche und Bad zu teilen. Konflikte bleiben nicht aus, und auch Rassismus von deutschen gegenüber ausländischen Frauen ist ein Problem, „das wir immer wieder thematisieren“, erläutert Mitarbeiterin Marion Klußmann. Ein Teil der Stellen wird deshalb mit Migrantinnen besetzt. Auch für ehemalige Bewohnerinnen und Lesben gibt es eine Quote.

„Profis“ in Sachen Schutz von Frauen sind für die Mitarbeiterinnen auch die schutzsuchenden Frauen selbst. „Das war ein großer Trost, daß ich nicht allein war“, erinnert sich Miryem, ehemalige Bewohnerin, in der Broschüre. Fahimeh schreibt: „Auf einmal verlassen sie diese Männer... einfach stark sein und kämpfen.“

Als „Hilfe zur Selbsthilfe“ besetzen die Bewohnerinnen nachts und am Wochenende den Notruf und nehmen neue Frauen auf. Notfalls werden auch Matratzen im Wohnzimmer ausgelegt, denn die Hamburger Frauenhäuser sind stets voll. Die 207 Plätze werden derzeit von der Stadt finanziert – eine Tatsache, die in den Gründerinnenjahren heftig umstritten wurde. Bis heute „sind wir uns bewußt, daß das immer mit Kontrollversuchen seitens des Staates verbunden ist“, betont der Reader. So hat die Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales unlängst die Verweildauer der Bewohnerinnen „in der Regel“ auf ein Jahr begrenzt. Frauen, die länger hier wohnen wollen – weil sie zum Beispiel als Migrantin keine Wohnung finden – dürfen nur noch in Ausnahmefällen bleiben.

Nicht selten kehren Bewohnerinnen der Frauenhäuser wieder zum gewalttätigen Ehemann zurück – was für die Mitarbeiterinnen nicht immer einfach mitanzusehen ist, räumt Roller-Lawrence ein. Aber „manche müssen's einfach noch einmal wissen, bevor sie endgültig gehen“, weiß sie.

Der Reader, den es in sieben Sprachen gibt, ist für 12 Mark erhältlich bei: „Frauen helfen Frauen e.V.“, Amandastr. 58, 20357 Hamburg