Buchmessern
: Helm ab vor Rushdie

■ Ein Glas Äppelwoi nach dem Ende der Fatwa und ein zurückgezogener Skandal

Glücklich, wer sich auskennt im Getümmel. Frankfurt ist ja immer gleich, sieht man einmal davon ab, daß schon wieder ein neues Hochhaus gebaut wird und daß der Bahnhof nicht mit portugiesischen, sondern mit Schweizer Wimpeln geschmückt ist: Messethema! Dann steht man wie im Vorjahr zuverlässig auf den Laufbändern des Messegeländes, holt sich im Pressezentrum den gewohnt ziegelsteindicken Katalog ab und trifft auch gleich die üblichen Kollegen, die die Schnauze wie immer endgültig voll haben. Dazu gibt es das obligate, obergeheime Gemunkel: Schon gehört? Rushdie soll kommen!

Die Messe ist eine Kirche, die man aus alter Anhänglichkeit besucht, und eine Kirche braucht ihre Heiligen. Von einer „endlos anmutenden Prozession zu den Büchern“ spricht Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth zur Eröffnung, und Flavio Cotti, der Bundespräsident der Schweiz, hält eine regelrechte Ruck-Ansprache, während Roman Herzog schweigend in der ersten Reihe sitzt. Mehr einmischende, konstruktive Kritik fordert Cotti und sogar offizielle „Einflußräume“ für die kritischen Stimmen: „Es sollte zu einer Art Gewaltenteilung kommen.“ Sind so schöne Reden!

Die Türkei hat unterdessen andere Sorgen als die Schweiz. Sie verweigerte, so hieß es gestern jedenfalls in allen Nachrichtensendungen, der türkischen Verlegerin Ayșe Nur Zarakoglu, die mit dem erstmals vergebenen International Freedom to Publish Award der Internationalen Verleger-Union ausgezeichnet werden sollte, die Ausreise. Die studierte Soziologin aus Istanbul gründete 1977, zusammen mit ihrem Mann Ragip Zarakoglu den Verlag Belge („Das Dokument“), in dem seither fast 400 Titel, häufig zu Menschenrechtsthemen, erschienen sind. Viele davon sind in der Türkei verboten. 1995 wurde auf den Verlag ein Sprengstoffattentat verübt, durch das 50 elektronisch gespreicherte Manuskripte verloren gingen. Ayșe Nur Zarakoglu ist auch in der Human Rights Association of Turkey aktiv.

Jede Menge Stoff für einen handfesten internationalen politischen Skandal also? Die türkische Regierung will es nun aber nicht gewesen sein. Alles nur Schluderei der lokalen Paßbehörde. Ayșe Nur Zarakoglu dürfe reisen, nachdem sich ihr verlorener Paß wieder angefunden habe, hieß es am Mittwoch auf einer Pressekonferenz des Börsenvereins. Die Türkei, so Börsenvereinsvorsteher Gerhard Kurtze, habe auch allen Grund, sich an internationale Gepflogenheiten zu halten, hat sie sich doch auch als eines der nächsten Schwerpunktländer der Buchmesse beworben. Dann aber versagte dem alten Parkettlöwen Kurtze doch glatt die Stimme, als er – „außerhalb des Protokolls!“ – einen Mann ankündigte, der im Geiste immer schon in unserer Mitte dabeigewesen sei, jetzt aber leibhaftig: Salman Rushdie. Applaus, Applaus! Und da stand er schon, zupfte sich am Bart und sagte, wie glücklich er sei, hier zu sein. „We are all part of the same family of books.“

Bewundernswert lässig lümmelte Rushdie bei der anschließenden Pressekonferenz im Sofaeck. An der Fensterfront versammelte sich eine Brigade grüngelederter Polizisten, die – die Fatwa ist vorbei – ihre Helme abgenommen hatten und auch einen recht entspannten Eindruck hinterließen. Rushdie erzählte, daß er gerade einen neuen Roman abgeschlossen habe und jetzt die Geschichte seiner letzten zehn Jahre literarisch aufarbeiten wolle. Non-Fiction allerdings, denn es ist „eine wahre Geschichte“. Ob er genug Distanz habe, das jetzt schon zu tun? „We will see.“ Ob er sich jetzt besser fühle? „Yes, I feel better like most of the last ten years.“

Und dann gab's hessischen Äppelwoi mit Laugenbrezeln, genau wie im vergangenen Jahr. Nur daß diesmal der sagenhafte Blue Moon Thunder aus Eugene, Hippietown, plötzlich zur Stelle war. Sachen gibt's. Jörg Magenau