Krieg für die Familie

Steven Spielbergs Kriegs-Powerplay rückt trotz seines Realismus in die Nähe des Videospiels. „Der Soldat James Ryan“ und der amerikanische Patriotismus  ■ Von Brigitte Werneburg

Die Lobeshymne des New Yorker zum Kinostart von Steven Spielbergs „Saving Private Ryan“ im Sommer lautete: „The film to end all wars“. Früher einmal hatte der Satz geheißen: Der Krieg, der alle Kriege beendet. Der Erste Weltkrieg war ein solcher Krieg. Und natürlich der Zweite Weltkrieg. Ein paar Kriege später, unter anderem dem Golfkrieg, der die These des Medientheoretikers Paul Virilio zu stützen scheint, daß alle modernen Kriege Informations- und Medienkriege sind, die vornehmlich der Herstellung einer siegreichen Kriegswirklichkeit dienen, ist es nun also der Film, der die Deutungsmacht hat, nun soll es „Der Soldat James Ryan“ sein, in dem der Krieg so unerträglich erscheint, daß dies sein Ende sein muß.

Die Absicht von „Der Soldat James Ryan“ ist das aber keineswegs. Denn Steven Spielbergs Film beginnt nicht mit der Landung der U.S. Army in der Normandie, deren blutige, schockierend realistische Inszenierung den New Yorker dazu bewog, in ihm den Antikriegsfilm zu sehen. Er beginnt vielmehr mit dem Bild des Sternenbanners und zeigt dann eine Familie, die einen Soldatenfriedhof im Norden Frankreichs besucht. Ein alter Herr löst sich aus der Gruppe und tritt auf eines der genormten weißen Kreuze zu, die in endloser Folge das gesamte Blickfeld verstellen. Er tritt näher und erinnert sich. Am Ende des Filmes werden wir erneut auf ihn treffen. Wir werden erkennen, wessen Name auf dem Kreuz steht, und da wissen wir auch, welche Bewandtnis es mit dem alten Herrn und dem Mann hat, der auf den Namen Miller hörte.

Der Rahmen, der das Grauen umgibt, zeigt eine wohlgeratene Familie, ein altes Ehepaar mit Kindern und Kindeskindern; er setzt die militärische Ehrenbezeugung des Kriegsveteranen und Sippenvorstands gegenüber dem gefallenen Offizier und dem Star-Spangled Banner groß ins Bild. Es ist der Rahmen eines sorgfältig inszenierten Patriotismus. Eines Patriotismus, der sich als aufgeklärt deklariert, weil er deutlich sagt, welche Opfer der Krieg fordert – und welche Opfer als nicht mehr akzeptabel angesehen werden, und warum genau deshalb weitere Opfer in Kauf genommen werden. Er erklärt sich für aufgeklärt, weil er sagt, daß die Verteidigung von Freiheit und Demokratie diese Opfer wert ist; weil er dem Zuschauer zumindest ans Herz legt, dies zu bedenken: Dieser Film ist kein Antikriegsfilm. Selbst wenn das Grauen der Landung diese Idee nähren könnte.

Die Landung der Alliierten, das wissen wir aus den Geschichtsbüchern, begann am Morgen des 6.Juni 1944. Es war eine Entscheidungsschlacht des Zweiten Weltkriegs, obwohl es gar nicht der Angriff auf die Hauptstreitkräfte des Gegners war, den die Kriegstheorie für dessen Niederlage fordert. Dieser Angriff war die Schlacht bei Stalingrad gewesen. Trotzdem, die amerikanischen Divisionen trafen auf eine abwehrbereite, verbunkerte deutsche Infanterie. Bis in den späten Nachmittag konnten die Amerikaner über das schmale Uferstück nicht hinauskommen.

Blutspritzer auf dem Objektiv

Steven Spielberg hat nun seinen ganzen inszenatorischen Ehrgeiz in diese Landungsszene gelegt. Dafür hat er seine Kamera (Janusz Kaminski) in einen der kämpfenden Soldaten verwandelt. Sie plumpst mit den Kombattanten ins trübe Wasser des Ärmelkanals und liegt mit ihnen im Feuer der deutschen Maschinengewehrbatterien. Stets ist sie auf Augenhöhe der vorwärts robbenden und nur geduckt laufenden Soldaten, deren Blickwinkel der ihre ist. Wasser schwappt über das Objektiv, Blut- und Sandspritzer kommen dazu und akzentuieren die Sicht auf eine Umgebung, in der absolut zufällig, sinnlos, wahllos gestorben wird. Die Farben sind blaß, die Tonspur eindringlich in ihrem Wechsel von Stille und Lärm. Es ist der Versuch, die physische Präsenz des Krieges, wie sie der einzelne Soldat erfuhr, in maximaler subjektiver Authentizität wiederzugeben. „Vermutlich die beeindruckendste Schlachtenszene, die je auf der Leinwand gezeigt wurde“, meinte der New Yorker. Die Kugeln treffen noch unter Wasser, ein Soldat hebt seinen abgeschossenen Arm auf und stürmt mit ihm weiter vorwärts, die Freude über den vom Helm abgelenkten Schuß verleitet einen anderen Soldaten dazu, ihn abzunehmen und zu bestaunen, was ihn das Leben kostet.

Doch indem Spielberg ohne Schauplatzwechsel auskommt, und damit ohne jeden Zeitsprung, verliert er jene Dimension, die die Landung am Omaha Beach tatsächlich so grauenhaft machte: die Zeit, die es brauchte, bis die Landungstruppen über den Todesstreifen hinauskamen. Spielbergs 24-Minuten-Landungsgefecht vermittelt nie auch nur die Ahnung, daß es elend lange zehn Stunden zusammenfaßt. So rückt der vermeintlich größte Realismus dem Kalkül des Videospiels bedenklich nahe. Was danach folgt, ist der übliche Kriegsfilm. Nun beobachten wir Captain John Miller (Tom Hanks) und seine kleine Einheit aus sieben Leuten, die losgeschickt werden, den Fallschirmjäger James Ryan (Matt Damon) in Sicherheit zu bringen. Zunächst ergibt das nur die übliche „Platoon“- Geschichte, ein Haufen toller Jungs, die gewöhnlichen Helden aus Brooklyn, Little Italy oder Iowa, die ein Kommando erhalten und es ausführen. Immerhin, anders als in anderen Kriegsfilmen darf die Identifikationsfigur dieses Films, sein Held Tom Hanks, Captain Miller, sterben, darf die Einheit untergehen.

Denn seine Schlüsselfigur ist der lange gesuchte und schließlich gefundene Soldat Ryan. Kriegsfilme sind üblicherweise für ein männliches Publikum gedacht. Nimmt es mögliche Kinogängerinnen für den Film oder für die Armee und ihren Generalstabschef General George C. Marshall ein, daß der letzte von vier Brüdern aus der Feuerlinie herausgeholt wird? Weil die Mutter, eine brave Farmersfrau in Iowa, die an einem Tag gleich drei Kuverts mit dem standardisierten, bedauernden Gefallen-für-Vaterland-und-Freiheit-Brief überreicht bekam, kein weiteres mehr erhalten darf? Ist es überhaupt denkbar, daß es solche PR-Aktionen für die Heimatfront im Zweiten Weltkrieg gab? Das Konstrukt, das den dramaturgischen Knoten schürzt, scheint nicht sonderlich solide, aber es bindet beide Geschlechter ein. Fragen sich die Männer, warum das Leben des einen mehr wert sein soll als das von sieben Männern, nur weil das Unglück einer Mutter gemindert werden muß – oder geht es darum, eine männliche Linie zu retten? –, fragen sich die Frauen, ob der Trost für die Bäuerin die Trauer sieben anderer Frauen wert ist, die ihren Ehemann oder ihren womöglich einzigen Sohn für den Soldaten James Ryan verlieren. Und beide können und sollen sich fragen, warum die Soldaten ihr Leben für einen zynischen Werbegag riskieren müssen. Denn natürlich ist es erneut ein Himmelfahrtskommando, das den Trupp nach seinem glücklichen Durchkommen durch den immer noch von den Deutschen besetzten Norden Frankreichs schickt. Die Landungsszene hat ihren Sinn ja vor allem darin, das Gefälle zwischen den Generälen, die solche Ideen haben, und den Soldaten zu zeigen, die ihnen Folge leisten müssen.

Überwältigung des Zuschauers

Es ist nicht ganz so, wie es die Kritiker Spielberg gerne vorwerfen: daß er mit filmischem Powerplay den Betrachter überwältigt, statt sein Thema zu bewältigen. Er hat sein Thema vielleicht besser im Griff, als man es wahrhaben möchte. Auch wenn die Geschichte des Kommandos zunächst die von Hunderten von Kriegsfilmen ist und vom guten älteren Offizier Captain Miller, vom kompetenten Seargeant (Tom Sizemore), vom rebellischen Hitzkopf (Edward Burns) und schließlich vom Intellektuellen, vom Übersetzer (Jeremy Davies) erzählt, der sich vor Angst in die Hosen macht und in dem sich Spielberg selbst widergespiegelt sieht, wie er sagt. Es fehlt eigentlich nur der schwarze GI. Da gibt es die dummen Situationen, aus denen man sich noch einmal rauswurschelt, und die eigenartig selbstverschuldeten ganz dummen Situationen, in denen man fällt. Da gibt es die Zweifel am Sinn des Krieges und der eigenen Aktion. Es gibt Szenen, die ein Lachen herausfordern, das letztlich peinlich und zynisch ist. Dann, wenn etwa der falsche James Ryan gefunden wird; und es gibt andere, die eher erhellend sind, so, wenn zwei Scharfschützen aufeinander zielen, jeder mit der gleichen Professionalität, der gleichen bösen Absicht, jeder in seiner Uniform, auf seiner Seite, was aber plötzlich keinen Unterschied mehr zu machen scheint. Und eine herausragende Kamera steht immer so, daß man, zumindest in diesem abschließenden Gefecht, stets über die Lage orientiert ist und keineswegs von ihr überwältigt wird. Nun ist diese oft erzählte Geschichte aber nur der Rahmen für die eigentliche Geschichte, die uns Steven Spielberg in einer raffinierten Kehrtwendung als den Rahmen andient.

Die Brüder Ryan geben General George C. Marshall vor allem Anlaß, mehrfach einen berühmten Brief Abraham Lincolns zu zitieren, der einer Mutter mitteilen muß, daß sie ihre fünf Söhne im Krieg verlor. Marshall, so stellt sich am Ende heraus, ist keineswegs nur der dumme Generalstäbler. Mit Lincoln zitiert er Amerikas heldenmütige Vergangenheit. „Der Soldat James Ryan“ ist ein Kriegsfilm der besonderen Art, denn auch er will – wie sämtliche Filme Steven Spielbergs – ein Film für die ganze Familie sein. Nicht nur die Geschlechter, sondern die Generationen, die Großeltern, die Eltern und die pubertierenden Kinder und Enkelkinder gehen gemeinsam in die Vorstellung, das sagen die Daten zu den überaus erfolgreichen Einspielergebnissen aus Amerika. Die Familie auf der Leinwand trifft auf die Familie vor der Leinwand. Mit diesem Film sind alle unterhalten und bewegt. Sie haben ein Thema, das gute Amerika, die Fahne und den Stolz, wie Spielberg sagt, „den wir für sie einst fühlten“ und der leider einem „Zynismus unseren Farben gegenüber“ Platz gemacht habe. Auf diese Fahne wird der Zuschauer mit dem ersten Filmbild vereidigt, und mit ihrem Bild wird er aus dem Film entlassen. Der Besucher wird sich überlegen müssen, ob er diesen Eid zu leisten gewillt ist.

„Der Soldat James Ryan“. Regie: Steven Spielberg. Mit Tom Hanks, Tom Sizemore, Edward Burns, Barry Pepper, Adam Goldberg, Matt Damon u.a. USA 1997, 170 Min.

Ein großes Spielberg-Porträt erscheint am Sonnabend im taz mag