Kassensturz oder Bilanzfälschung?

■ Rot-grüne Koalitionäre entdecken immer neue Haushaltslöcher, die künftige Opposition spricht von Erfindungen

Berlin (taz) – Einen Tag nachdem die künftigen rot-grünen Kassenwarte neue Milliardenlöcher in Theo Waigels Haushalt entdeckt haben wollen, ist der Streit um das Haushaltsgesetz 1999 voll entbrannt.

Die Unions-Fraktion ließ mitteilen, die prognostizierten Fehlbeträge von 20 Milliarden Mark seien „eine Erfindung der rot-grünen Koalition“. Selbst aus den zum Stillschweigen verdonnerten Verhandlungsdelegationen verlautete die Befürchtung, der erste Kassensturz sei gründlicher ausgefallen als erwartet. Das wäre nötig, hieß es intern, um die Wünsche der Koalitionsverhandler nicht in den Himmel wachsen zu lassen.

„Es gibt keine Haushaltslöcher, die neu zu entdecken wären“, behauptete gestern Erwin Huber (CSU). Der in die bayerische Staatskanzlei zurückbeorderte bayerische Finanzminister sprach von einer „organisierten Wählertäuschung“. Es zeige sich, daß Rot- Grün seine Wahlversprechen ohne Rücksicht auf Finanzierbarkeit gemacht hätte. In der CDU/CSU- Fraktion machte das Wort von der „Bilanzfälschung“ durch die künftige Regierung die Runde.

Unterdessen erneuerte auch die SPD-Spitze die Behauptung, das von Waigel hinterlassene Finanzloch sei größer als erwartet. Ehe er in der gestrigen Koalitionsrunde daran ging, einen sogenannten Finanzstatus zu erstellen, sagte der designierte Kanzler Gerhard Schröder (SPD), das vorgefundene 20-Milliarden-Loch zeige, „wie unseriös die anderen waren“.

Der Kassensturz war bereits am Dienstag von einer der zahlreichen rot-grünen Finanzexpertenrunden vorgenommen worden. Demnach befänden sich in dem 465 Milliarden Mark umfassenden 99er Etat „Risiken, Probleme und Haushaltslöcher“ in Höhe von 20 Milliarden Mark – so sahen es Ingrid Matthäus-Maier und andere Haushälter. Die wichtigsten riskanten Positionen seien das zu hoch kalkulierte Wirtschaftswachstum, nicht in den Etat eingestellte Finanzhilfen für das Saarland und Bremen sowie diverse Schattenhaushalte, für die der Bund geradestehen müßte.

Intern wurde die Summe gestern zwar als Drohgebärde bezeichnet. Dennoch hieß es, man habe den Waigelschen Haushalt seriös „mit den Risiken angereichert, die jetzt schon bekannt sind“. Der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, Oswald Metzger, sagte der taz, „wir haben nur noch einen Spielraum für neue Kredite von 1,3 Milliarden Mark“. Jede Summe, die darüber hinausginge, würde verfassungswidrig sein, so Metzger. Laut Verfassung darf die öffentliche Hand geliehenes Geld ausschließlich für Investitionen nutzen. Für Investitionen im Etatentwurf von 57,3 Milliarden sind bereits jetzt 56 Milliarden Mark an Krediten vorgesehen. Allein die Bedienung des vom Finanzminister ignorierten Erblastentilgungsfonds brächte Rot- Grün 1999 ein Minus von 9,5 Milliarden Mark, steht in einem Strukturpapier Metzgers.

Unterdessen hat der Kassensturz vor allem die SPD-Reihen nervös gemacht. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rudolf Scharping wiederholte die Forderung nach einer Rücknahme der Rentenkürzungen; die mögliche Familienministerin Christine Bergmann forderte, nicht in den neuen Bundesländern zu sparen. Auch die Erhöhung des Kindergeldes, die Wiedereinführung des Kündigungsschutzes sowie das 100.000-Job- Programm für Jugendliche seien unverzichtbar, hieß es.

Das Finanzministerium wollte sich zu dem verfügbaren Budget der neuen Regierung nicht äußern. Es sei ganz normal, daß die „politische Bewertung“ von Rot-Grün eine andere sei. „Wir werden uns jetzt nicht mehr aus dem Fenster hängen“, versprach ein Sprecher der kommenden Regierung Loyalität. Der in erster Lesung vor der Bundestagswahl eingebrachte Haushalt für 1999 muß durch eine Schröder-Regierung neu vorgelegt werden. Er soll dann im Dezember verabschiedet werden. Christian Füller