Potentiale vor der Haustür

Das Museum der Arbeit unternimmt eine „Standortbelichtung“ zum Thema „Wo beginnt die Zukunft im Stadtteil?“  ■ Von Thomas Schulze

Eigentlich konservieren Fotografien Vergangenheiten. In konstruierten Chroniken gesammelt, halten sie Erinnerungen und gefährdete Kontinuitäten fest. Die Fotoausstellung Standortbelichtung – oder: Wo beginnt die Zukunft im Stadtteil? im Museum der Arbeit stellt diese Sichtweise auf den Kopf. Zwischen Kirchdorf-Süd und Barmbek machten sich FotografInnen auf die Suche nach der Zukunft in Hamburger Stadtteilen.

Heraus kamen keine visionären Prognosen, sondern eher sensible Erkundungen der Potentiale vor der Haustür. So erzählen die dokumentarischen Schwarz-Weiß-Fotos von Gesche M. Cordes und Marily Stroux kleine Alltagsgeschichten: von der Frau, die in Eidelstedt selbstgefertigte Handarbeiten am Gartenzaun verkauft, oder den Kindern, die in St. Pauli mit Autowrack, Postbriefkasten und einem LKW voller Marmeladenglasdeckel spielen. Beispiele, wie sich einzelne Platz für Handel und Wandel verschaffen oder öffentliche Räume zum Spielen erobern.

Horst Hornig und Thomas Kummerow wiederum bewerben mit plakatgroßen Werbezetteln einen „Freizeiteckenbaukasten“: salatsprießende Baumscheiben an den Straßenrändern, die zum subsistenten Wirtschaften im Quartier aufrufen. Karin Plessing beobachtet die Große Bergstraße aus der Kinderperspektive: Die Motive sind abgeschnitten. Es bleiben Ausschnitte vielfältigen urbanen Lebens in einer Straße übrig, die eigentlich als städtebaulicher Nicht-Ort gilt. Auf Jokinens großformatigen Farbabzügen sieht man vorbeihastende Passanten, in verschwommenen Standbildern eingefangen. Die dargestellte Gegenwart scheint sich wieder zu verflüchtigen.

„Zukunft beginnt mit Wahrnehmung“, meint Gordon Uhlmann vom Veranstalter Forum Zukunftsarbeit. Er möchte mit der Ausstellung Zukunft gegenwärtig machen, als prozeßhafte Gestaltung gesellschaftlichen Zusammenlebens. Daß das Medium Fotografie Wahrnehmung herausfordern und Fixbilder von Zukunft aus Werbung, Politik und Medien in Frage stellen kann, zeigt ein zweiter Ausstellungsteil: Auf 300 von Jugendlichen und Kindern gemachten Fotografien gibt es subjektive Antworten auf die im Titel der Ausstellung gestellte Frage. Die Ergebnisse zeigen sie als Akteure und Experten „ihrer“ Viertel.

Komplett gemacht wird das Programm mit einer Reihe öffentlicher Vorträge und Diskussionsforen zu Stadtteilkultur, Stadtentwicklung und lokaler Ökonomie. Jenseits der Debatte um Globalisierung und Standort geht es thematisch weitgespannt zu: Arbeit und Existenzsicherung im Quartier, neue Finanzierungswege wie Stadtteil-Banking, Bürgerbeteiligung und Migration, die Rolle von Stadtteilkultur und Wege zu zivilen Konfliktlösungen im Viertel. Auch hier sollen die Referenten ihr Bild von Stadtteil und Zukunft mitbringen und damit in die Debatte einsteigen. Die stillstehende Allgegenwart der Fotografie ist dann der emotionale Schlüssel zur Auseinandersetzung um künftige Quartiersperspektiven.

bis 24. November im Museum der Arbeit (U/S-Bahnhof Barmbek). Mo, 12. Oktober, 19 Uhr: „Standorte: belichtet“, Diskussion mit den Fotografen