Der Geschlagene sitzt auf dem hohen Roß

Huldvoll gibt sich Wolfgang Schäuble dieser Tage gegenüber SPD und Grünen. Ganz so, als hätte er noch nicht begriffen, daß sie künftig das Land regieren – und ihm nur die Rolle des Oppositionsführers bleibt  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Gerhard Schröder und Joschka Fischer können beruhigt sein. Sie tun nichts Verbotenes, nicht einmal etwas Böses, wenn sie sich zu Koalitionsgesprächen treffen. Das hat ihnen jetzt der designierte CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble ausdrücklich bescheinigt. Es sei „das Recht“ der künftigen Mehrheit, derartige Verhandlungen zu führen, erklärte er zu Beginn einer Pressekonferenz in Bonn. Bereits zwei Tage zuvor hatte er nach der konstituierenden Sitzung seiner Fraktion berichtet: „Wir haben uns darüber verständigt, daß wir das Wahlergebnis akzeptieren.“ Auf den Einsatz der Kavallerie will die Union also offenbar verzichten.

Das heißt aber noch lange nicht, daß ihr Fraktionschef der neuen Regierung nun alles durchgehen läßt. „Eine Lüge“ und „Bilanzfälschung“ warf er gestern der SPD vor, weil diese neue Milliardenlöcher im Haushalt entdeckt haben will. Detaillierte Nachfragen eines Wirtschaftsjournalisten ergaben allerdings, daß Schäuble die Erkenntnisse von SPD und Grünen nicht etwa grundsätzlich in Zweifel zieht. Er meint nur, die hätten den Zustand der Staatsfinanzen auch früher schon gekannt. Immerhin habe ja die alte Bundesregierung auch noch den Haushalt eingebracht.

Insgesamt verlief der Auftakt der mit Spannung erwarteten Erneuerung der Union gestern eher unspektakulär. „Die Schlußbilanz unserer Regierung ist gut“, verkündete Schäuble. Das Wachstum sei stark, die Arbeitslosigkeit zurückgegangen und Preise seien stabil. „Das eigentliche Risiko für die Wirtschaft ist das, was Rot-Grün in diesen Tagen miteinander verhandelt.“ Was immer das im einzelnen sein mag.

Einen echten Lacherfolg erntete der Fraktionschef auf der Pressekonferenz, als er erklärte: „Der Wahlkampf ist vorbei.“ Ansonsten war das Interesse gedämpft. Dem Leitartikler einer Tageszeitung fielen immer wieder die Augen zu, und der ohnehin mit Journalisten weit spärlicher als sonst gefüllte Fraktionssaal leerte sich sichtbar noch während der Veranstaltung.

Die Inhalte von Schäubles Äußerungen waren ohnhein bereits bekannt. Wie er „seine Partei aus dem Tief holen“ will, hatte er bereits am Vortag der Bild-Zeitung erzählt. „Hier werden dazu jetzt nur noch die Fernsehbilder nachgeliefert“, spöttelte eine Journalistin.

Fest steht nun immerhin: Statt eines neuen Weges werden erst mal alte Pfade beschritten. „Wir werden das Koordinatensystem unserer Politik nicht verändern“, kündigte Schäuble an und äußerte sich zur Personalpolitik. Auch künftig brauche die CDU „den Beitrag älterer, erfahrener, bekannter Frauen und Männer“. Ins Detail mochte er nicht gehen. „Ich mache die Vorschläge, die ich zu machen habe, zunächst den Gremien meiner Partei und dann der Öffentlichkeit.“ Am 22. Oktober wollen Präsidium und Vorstand Schäubles Personalvorschläge erörtern. „Ich weiß, was ich machen werde, aber ich sag's Ihnen nicht.“

Dafür reden andere. Schäubles Stellvertreter Heiner Geißler hat sich hinter Arbeitsminister Norbert Blüm gestellt, dessen Wiederwahl ins Amt eines stellvertretenden CDU-Vorsitzenden als gefährdet gilt. Blüm gehöre nicht zum „alten Eisen“ und habe „höchstes Ansehen gerade bei jungen Leuten“, sagte Geißler. Politiker der Jungen Union favorisieren statt dessen den niedersächsischen CDU-Vorsitzenden Christian Wulff. Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel, der von Parteifreunden zum Verzicht auf eine Kandidatur gedrängt worden sein soll, hat unterdessen seinen Anspruch in einem Stern-Interview noch einmal bekräftigt. Da auch die Minister Volker Rühe und Angela Merkel antreten wollen, werden Kampfabstimmungen immer wahrscheinlicher. Wolfgang Schäuble hat gestern noch einmal betont, die Union verfüge über zahlreiche qualifizierte Frauen und Männer. Vielleicht. Jedenfalls hat sie derzeit gewiß mehr Personal als Ämter.