Die Deutschen bleiben im alliierten Geleitzug

■ Wenn Joschka Fischer und Gerhard Schröder heute in Washington die Leitlinien rot-grüner Außenpolitik erörtern, besteht das Kunststück darin, die USA nicht zu verprellen. Washington erwartet von der deutschen Regierung das Bekenntnis zur Westbindung, gerade jetzt in der Kosovo-Frage. Kein Problem für die SPD. Für Grüne schon: Sollte die Nato ohne Mandat der UNO eingreifen, wird ihnen ein Sprung abverlangt, den sie in der Opposition nie gemacht hätten

Eine Frage wird Joschka Fischer heute in Washington immer wieder zu hören bekommen: Wird die Bundesregierung auch unter Rot- Grün im Kosovo dabeisein? Bleibt Deutschland im Bündnis solidarisch? Es ist das Pech Joschka Fischers, daß ausgerechnet jetzt der erste Nato-Einsatz out of area bevorsteht, den der UN-Sicherheitsrat womöglich nicht absegnen wird. Bleibt es dabei, wird von den Grünen gleich zu Beginn ihrer Regierungsbeteiligung ein hohes Maß an Flexibilität gefordert. Der jetzt von der Nato geplante Einsatz würde der Beschlußlage der Partei diametral widersprechen.

Bislang waren Linke und Realos sich bei allem Streit um militärische Einsätze zumindestens darin einig, daß ein UN-Mandat vorliegen muß. Grundsätzliche Position der Partei ist, daß bis auf begründete Ausnahmen Interventionen immer unter dem Kommando der UNO stattfinden sollen und sich, wenn irgend möglich, auf friedenserhaltende Maßnahmen nach Kapitel 6 der UNO-Charta beschränken sollen. Umstritten ist bereits, ob friedenserzwingende Einsätze nach Kapitel 7 unter dem Kommando der UNO akzeptabel sind. Der Einsatz in Bosnien war ja nicht zuletzt deshalb umstritten, weil hier nicht die UNO, sondern die Nato, wenn auch mit einem Mandat der UNO, Regie führte. Wenn jetzt die Nato im Alleingang eingreifen will, wird den Grünen ein Sprung abverlangt, den sie in der Opposition nie gemacht hätten. Dennoch ist es wahrscheinlich, daß letztlich auch die Grünen zustimmen werden. Dabei spielen zwei Begriffe eine Schlüsselrolle: das Primat der Westbindung und keine deutsche Sonderrolle.

Wenn Schröder und mit ihm die führenden Außenpolitiker der SPD die Kontinuität der deutschen Außenpolitik betonen, meinen sie vor allem diesen Kernbestand bundesrepublikanischer Politik. Auch die kommende Berliner Republik wird die Westbindung der Bonner Republik keinen Moment in Zweifel ziehen, und deshalb bleiben die Deutschen im alliierten Geleitzug. Ein Ausscheren in der Kosovo- Frage wäre nach dem Verständnis von Schröder, Scharping und Verheugen nicht nur innenpolitisch problematisch (wegen der zu erwartenden zusätzlichen Flüchtlinge aus dem Kosovo), sondern vor allem außenpolitisch das falsche Signal einer neuen Regierung.

Diese Sicht wird im Prinzip auch von Fischer geteilt, der ja zusammen mit Dany Cohn-Bendit gerade das Projekt einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik voranbringen will. Deutscher Sonderweg, nein danke – das gilt für Fischer noch viel grundsätzlicher als für viele SPD-Politiker.

Grüne Außenpolitik ist entscheidend von einem supranationalen Ansatz geprägt. Deutsche Interessen sind immer dann am besten gewahrt, wenn sie im internationalen Kontext wahrgenommen werden. Die Parole „Raus aus der Nato“ war ja nie gedacht als Schritt hin zu deutschen Alleingängen oder einem deutschen Isolationismus, sondern als Hinwendung zu größeren, zivileren, internationalen Zusammenschlüssen. Statt der Nato favorisieren die Grünen die UNO und, in Europa, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Genau an diesem Punkt, der stärkeren Zuwendung zu UNO und OSZE, werden auch die konzeptionellen Schwierigkeiten einer rot-grünen Außenpolitik liegen. Anders als die Konservativen und hoffentlich mit mehr Erfolg als der glücklose Klaus Kinkel (FDP), wird die neue Regierung wohl versuchen, UNO und OSZE mehr Gewicht zu geben, als dies bislang der Fall war. Das Kunststück besteht darin, die USA dabei nicht zu verprellen. Für die Amerikaner ist die OSZE im Vergleich zur Nato schon deshalb ein Greuel, weil sie dort nicht die uneingeschränkte Führungsrolle spielen. Deshalb wird auch unter grünen Außenpolitikern diskutiert, ob man nicht die Nato eher im Sinne der OSZE als politisches Forum umbauen kann.

Der Schlüssel dazu ist Rußland. Für den zukünftigen Charakter der Nato, für die Zusamenarbeit im Sicherheitsrat und für die Arbeit der OSZE ist entscheidend, ob die Nato ihre Osterweiterung als neue Pufferzone gegen Rußland begreift oder ob die Erweiterung der Nato auch eine Option für Rußland bereithält. Selbst wenn ein Beitritt Rußlands zur Nato eine Frage ist, die in den nächsten 20 Jahren nicht entschieden wird – es kommt darauf an, welche Perspektive die Nato wählt. Eine offene Tür ist gleichbedeutend mit einer auf Dauer angelegten, schwierigen Kooperation. Eine Osterweiterung, die lediglich darauf abzielt, der Nato noch Osteuropa, das Baltikum und womöglich die Ukraine einzuverleiben und Rußland auszugrenzen, wäre auf Dauer eine Strategie der Konfrontation.

Wählt man den ersten Weg, werden bei der Bewältigung regionaler Konflikte Elemente von UNO, Nato und OSZE immer häufiger komplementär zum Zuge kommen. Der zweite Weg wäre ein Zurück zu festen Blöcken. Rot- grüne Außenpolitik darf schon deshalb keinen Zweifel an ihrer Kontinuität der Westbindung aufkommen lassen, um gegenüber den USA für eine Integration Rußlands werben zu können.

Das gilt nicht nur in der Kosovo- Frage, sondern für eine Menschenrechtspolitik im weitesten Sinne. Im Unterschied zur amtierenden Bundesregierung könnte eine neue Außenpolitik jedoch darin bestehen, Ziele transparenter zu machen und Konflikte öffentlich zur Debatte zu stellen.

Gelegenheit dazu böte sich in drei Konfliktfällen im Nahen Osten. Sowohl in der Türkei, im Iran als auch bei den Palästinensern und anderen arabischen Regierungen werden Erwartungen in die neue deutsche Regierung gesetzt. Tatsächlich gäbe es hier auch einen Gestaltungsspielraum, den eine rot-grüne Außenpolitik nutzen könnte. Die deutsch-türkischen Beziehungen sind vor allem deshalb so am Boden, weil unterschiedliche türkische Regierungen sich von der EU und dabei allen voran von Deutschland nachhaltig getäuscht sahen. Die Entscheidung von Luxemburg, die Türkei auch nicht in den Kreis der auf längere Sicht möglichen Beitrittskandidaten aufzunehmen, wurde in Ankara als Beleg dafür empfunden, daß die EU vor allem ein Club christlicher Länder bleiben will.

Eine neue Bundesregierung hat nun die Chance, diesen Eindruck zu korrigieren, zum türkischen EU-Beitritt klar ja oder nein zu sagen und dann die Bedingungen dafür zu formulieren. Danach könnte ein Zeitplan vereinbart werden, der die Beseitigung von Defiziten auf türkischer Seite mit weiteren Integrationsschritten koppelt. Ähnliches gilt für den Iran. Die von Präsident Chatami signalisierte Bereitschaft zur Zusammenarbeit kann sie mit einem klaren Verweis auf die Menschenrechte beantworten, statt wie bislang den eigenen ökonomischen Vorteil im Auge zu haben.

Die Palästinenser drängen seit langem darauf, daß die EU sich stärker als bislang im Friedensprozeß engagiert. Frankreichs Staatspräsident Chirac hat sich bereits im Alleingang versucht, und auch der britische Außenminister Cook hat als Ratsvorsitzender der EU bereits einmal versucht, auf die israelische Siedlungspolitik in Jerusalem Einfluß zu nehmen. Solange die Deutschen daran nicht beteiligt waren, konnte es jedoch zu keiner wirklichen gemeinsamen Außenpolitik der EU kommen. Mit Schröder und Fischer kommt jetzt die Nachkriegsgeneration an die Macht, die zwar ihrer besonderen Verantwortung gegenüber Israel bewußt ist, aber dennoch unbefangener agieren kann. Diese Politik hätte aber mit einer spezifisch grünen Politik nicht viel zu tun. Die ist in der Außenpolitik eigentlich auch nur an einem Punkt denkbar: Ein grüner Außenminister könnte versuchen, seine Politik gesellschaftlich stärker zu vernetzen und auch NGOs in praktische Außenpolitik miteinzubinden, statt exklusiv nur zwischen Staaten zu verhandeln. Ansätze dazu sind bereits vorhanden, und Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international oder auch Greenpeace warten nur darauf, daß ihre Anregungen Resonanz finden. Jürgen Gottschlich