Segen oder Fluch

Tom Stromberg und die Folgen. Wieviel Innovation verträgt Hamburgs Theaterlandschaft? Zwei Interviews  ■ Von Christiane Kühl

Am Montag auf der Pressekonferenz fragte jemand, warum ich eigentlich nicht Kampnagel übernehmen wollte. Da habe ich im Scherz gesagt, daß ich mit 40 nicht mehr durch irgendwelche Hallen laufen wollte und gucken, wo es reinregnet. Das habe ich 15 Jahre lang gemacht. Es gibt immer irgendwo ein Labor, in dem Dinge ausprobiert werden, und dann kommt der Tag, wo diese Dinge beweisen müssen, ob sie auch vor größerem Publikum tragbar sind.

taz: Auf Kampnagel ist man über Ihre Berufung nicht nur glücklich; es gibt die Befürchtung, daß eine direkte, ungerechte Konkurrenz entsteht, schließlich ist Ihr Etat um 30 Millionen Mark höher.

Tom Stromberg: Sie können sicher sein, daß mir Kampnagel sehr am Herzen liegt, ich wollte das Haus ja auch mal übernehmen. Es ist eine Aufgabe der Kulturpolitik und der Leute dort, zu bestimmen, was Kampnagel ausmacht. Aber daß dort ganz junge Leute produzieren, ist ja eh manchmal der Fall. Es gibt nichts besseres, als daß es in einer Stadt einen Ort gibt, an dem man sich im guten Sinne bedienen kann, weil dort Regisseure entstehen, die man gebrauchen kann. Forsythe hat in Frankfurt ja auch mit vielen Leuten gearbeitet, die wir entdeckt haben. Da haben wir nicht gedacht, der nimmt uns etwas weg, sondern waren froh und stolz auf unsere Entdeckung.

Kampnagel hat eine Reihe von Künstlern gezeigt, die auch am TAT spielten.

Das waren gar nicht so viele. Kampnagel war nie in dem Verbund mit dem Hebbel Theater, Kai Theater und den Wiener Festwochen drin. Das hatte mit Geld zu tun, aber auch mit Persönlichkeiten.

Haben Sie keine Angst, daß mit Baumbauers Konzept die Innovationsakzeptanzgrenze des „großen“ Hamburger Publikums ausgereizt ist?

Nein. Wenn es keine Innovations-liebe mehr gibt, gibt es auch keine Kunst mehr. Ich gehe davon aus, daß es die gibt. Und eine Sehnsucht nach Live-Erlebnissen. Und danach, immer wieder neue Konfigurationen zu sehen.

Ihre geplante internationale Öffnung des Schauspielhauses beläuft sich vermutlich nicht auf Gastspiele.

Natürlich nicht. Die Leute sollen hier mit den Schauspielern arbeiten. Da könnte man z.B. mit Kampnagelleitung zusammenarbeiten, etwa daß man sagt: Hier ist ein wichtiger Regisseur vor Ort, wollt ihr nicht ein Gastspiel von ihm zeigen.

Ihre Arbeit am TAT hat das europäische Theater der Neunziger entscheidend geprägt. Glauben Sie, daß Ihre Intendanz in Hamburg das Modell für das deutsche Staatstheater des 21. Jahrhunderts wird?

Das Gute am Theater ist ja, daß man meistens zwei Jahre vorher noch nicht weiß, was dann gut ist. Wenn das Theater die Kraft behält, schnell zu reagieren, und nicht heute schon weiß, wie die Minna von Barnhelm 2003 aussieht, dann ist das eine Qualität. Sicher wird das Theater beweglich sein müssen, übergreifend arbeiten und international kooperieren. Das muß so sein in der zeitgenössischen Kunst.

Grundsätzlich finde ich es natürlich spannend, daß jemand, der vom TAT kommt, jetzt an ein großes Haus geht. Diese Entwicklung ist wichtig. Wenn man nicht im Staatstheaterbetrieb großgeworden ist, hat man Ideen, wie man anders produzieren kann, auch billiger produzieren kann. Diese Erfahrung bringt Stromberg mit, und das finde ich gut. Auch seine künstlerischen Vorstellungen, die er am TAT umsetzte, finde ich gut – sie entsprechen ja sehr dem, was wir auf Kampnagel machen. Und das ist auch genau das Problem.

taz: Das Problem der Positionierung der beiden Häuser?

Res Bosshart: Ja. Aber es ist nicht das Problem von Kampnagel. Ich konnte mit Frau Weiss noch nicht darüber sprechen, wie sie sich Kampnagel vorstellt, wenn j2000 am Schauspielhaus jemand ist, der das macht, wofür Kampnagel steht. Mit achtmal mehr Geld. Kampnagel kann dann nicht so weitermachen.

Wie könnte Kampnagel 2000 aussehen?

Wenn es darum geht, daß Kampnagel zum Durchlauferhitzer wird; wenn wir die lokalen Jungen aufspüren, sozusagen für das große Haus vorbereiten, dann finde ich das sehr schwierig. Dieses Problem haben wir ja zum Teil schon jetzt. Stefan Pucher zum Beispiel ist ganz klar einer, der von Kampnagel kommt. Wir hatten mit ihm ein Projekt besprochen und mußten eigentlich nur noch die Termine festmachen, und dann ist das Schauspielhaus gekommen. Das ist eine Situation, von der ich mir vorstellen kann, daß sie öfter vorkommen wird, wenn Stromberg Intendant am Schauspielhaus wird. Und auf diesen Fight habe ich überhaupt keine Lust. Weil die Konkurrenz nicht fair ist. Und sinnvoll auch nicht. Ich weiß nicht, warum die Kulturbehörde diesen Konflikt installiert.

In welcher Form könnten beide Häuser nebeneinander funktionieren?

Es gibt gewisse Projekte, die können nur auf Kampnagel stattfinden, z.B. im Bereich der Performance. Viele Projekte im grenzüberschreitenden Bereich brauchen eine andere Bühnensituation, als sie das Schauspielhaus hat. Da will Stromberg wohl mit den anliegenden Museen ins Gepräch kommen. Natürlich können wir uns vorstellen, im Gastspielbereich zusammenzuarbeiten.

Wenn Stromberg wirklich das abdecken würde, was Sie gemacht haben und weitermachen wollten – welche Alternative, welche Chance hätte Kampnagel dann?

Natürlich hätte ich auch dann noch Ideen. Es gibt Möglichkeiten, wie man sich ein eigenes Gesicht geben könnte, ein starkes. Aber dafür brauch ich mehr Geld. Wenn man sich spezifisch profilieren will, darf man nicht so von Ticketeinnahmen abhängig sein, wie wir das sind. Dann muß man großes Risiko fahren können. Daß fände ich für Kampnagel spannend.

Generell freut es mich, daß Stromberg das Schauspielhaus bekommen hat – aber im Detail ist vieles noch nicht geklärt.