Vier gegen keinen

■ Eine Diskussion zur umstrittenen Ausstellung „Macht des Alters“ geriet ohne GegnerInnen zur Nabelschau von BefürworterInnen

Es hätte so ein schönes, anregendes Streitgespräch werden können. Die Voraussetzungen waren gut: ein brisantes, emotional wie intellektuell anspruchsvolles Thema, gewürzt mit einer elaboriert formulierten, wenngleich wenig aussichtsreichen Strafanzeige, ausreichendes Publikumsinteresse. Doch es kam alles ganz anders, als die Stiftung für Kunst und Kultur aus Bonn am Donnerstag abend ins Kronprinzenpalais einlud, um über die dort ausgestellten Menschenpräparate des Arztes Gunther von Hagens zu diskutieren (taz vom 7.10.).

Lange zweieinhalb Stunden quoll der Redebrei durch das zum Auditorium umfunktionierte Foyer. Einige wenige Male blitzten Begriffe auf, bei denen man gerne eingehakt hätte. Zum Beispiel, als von Hagens von der „zweiten Aufklärung“ sprach, deren Vertreter er sei; auch mit der „Demokratisierung der Anatomie“ oder der „ästhetischen Dimension des Zeigens“, von der kurz die Rede war, hätte man sich ruhig mal etwas ausführlicher befassen können. Aber dazu wäre ein Moderator nötig gewesen, der imstande ist, nicht nur das Wort zu erteilen, sondern eine Diskussion zu lenken. Dazu hätte vor allem auch das Podium anders besetzt sein müssen. Statt dessen herrschte die längste Zeit Ausstellungsmacher Bazon Brock über die Mikrofone – keine gute Idee. Der rhetorisch fähige, aber auch von Ungeduld und impulsiven Ausfällen gebeutelte Wuppertaler war eine Fehlbesetzung.

Zu Anfang las eine Bekannte von Mariele Bergmann, jener Berliner Diplompsychologin und Graphikerin, die die Strafanzeige gegen von Hagens gestellt hatte, eine schriftlich verfaßte Erklärung vor. Mariele Bergmann selbst wollte nicht kommen. Sie ist eine Frau, die viel weiß und auch von der medizinischen Praxis etwas versteht. Auch hat man nicht den Eindruck, daß sie jemand ist, die zu Querulantentum und Paragraphenreiterei neigt. Die Anzeige hat sie erstattet, weil sie nicht wußte, wie sie sich in ihrer berechtigten Empörung über die ungebremste Zurschaustellung von Hagens' Plastinationen anders Gehör verschaffen sollte. Aber sie ist öffentliche Auftritte nicht gewohnt. Sie tat gut daran, nicht zu erscheinen, denn was dann folgte, war nichts anderes als eine Farce.

Es war eine Zumutung, Mariele Bergmann als einzige Kritikerin der Ausstellung auf dem Podium präsentieren zu wollen. Wer solch eine Gesprächsrunde vorbereitet, hat im Interesse der Beteiligten, und damit auch der Zuhörer, dafür zu sorgen, daß die Argumente für und wider geübt, kompetent und zahlenmäßig ausgewogen vertreten werden. Zwei versierte Zeugen der Anklage zu finden wäre ein leichtes gewesen. Ethikforscher und Mediziner, die von Hagens wegen seiner Zeigelust angreifen, gibt es genug. Aber neben dem Erfinder der Plastination und Bazon Brock saßen Prof. Dr. med. Axel Braun, der sich schnell als Parteigänger seines Heidelberger Freundes und Kollegen entpuppte („ich werde mich selbstverständlich auch plastinieren lassen“), sowie eine Frau Doktor. Die erzählte, als sie endlich dran war, rasch was von Grundgesetz Artikel 1, Absatz 1 („Die Würde des Menschen...“), um dann ebenso rasant den Bogen zu schlagen, daß das Ganze schon seine Richtigkeit hat, solange die Körperspender ihr Einverständnis zu allem geben.

So spielten sich die vier an diesem verlorenen Abend die Bälle zu, unterbrochen von gelegentlichen Wortmeldungen aus dem Publikum, das auch noch aufs Saalmikrofon verzichten mußte. Wer immer diese Veranstaltung organisiert hat, sollte das nächste Mal die Finger von dem Job lassen. Ulrich Clewing