Wenn Zungen flattern

■ Melodische Intensität des Saxophons: Pharoah Sanders spielt im Tränenpalast

Es ist ein aufregendes und schönes Gefühl, sich auf ein Konzert von Pharoah Sanders zu freuen, der aus seinem Instrument eine ungeahnte melodische Intensität herauszulösen vermag. Er bläst nicht nur in sein Saxophon, er singt und atmet hinein, läßt seine Zunge rollen und flattern – wenn er einen guten Tag hat.

Denn die Zeiten des Endsechzigerspirits und des „The Creator Has A Masterplan“ sind eigentlich längst vorbei und manchmal stört der lange weiße Pharaonenbart. Dann wird er mit einem Haargummi hochgeknotet. Doch der Mythos lebt. Vorzugsweise trägt er lange afrikanische Gewänder in schimmernden Blau- und Rottönen. Auf der Bühne steht ein Stuhl bereit, auf dem Farell „Pharoah“ Sanders aus Little Rock, Arkansas, gelegentlich während seines Konzertes pausiert, sein Saxophon im Arm haltend, wie einen vertrauten Freund. Wenn er spielt, schrauben sich die Töne kraftvoll empor, werden gedehnt und bis zum Schrei überblasen, um kreischend zu zersplittern und dann wieder behütet und umtanzt zu werden. Er spielt zirkular, atmet während des Spielens, und so können sich seine Soli bis zu einer halben Stunde und mehr ausbreiten, bis er sein Tenor auf die Brust sinken läßt und singt. Kurze refrainartige Passagen. Sich durch die immerwährende Wiederholung in einen tranceartigen Zustand versetzend. Dann kann er plötzlich sein Konzert beenden und von der Bühne verschwinden. Ratlose Musiker und ein verblüfftes Publikum zurücklassend.

Wie John Coltrane, mit dem er zwei Jahre bis zu dessen Tod 1967 spielte, so braucht auch Pharoah Sanders die Kommunikation mit dem Publikum nicht, um in seiner Musik aufzugehen. Auch wenn er sich gelegentlich zu peinlichen Entertainment-Einlagen (put your hands together) hinreißen läßt.

Bei seinen Live-Konzerten spielt Sanders vorwiegend Coltranes Kompositionen. Auch wenn gerade eine neue Platte erschienen ist (“Save Our Children“/ Verve), produziert von Bill Laswell. Doch das ist mehr „Bills Ding“, als das von Pharoah Sanders, der in drei Tagen 58 wird und eigentlich einen der Höhepunkte des diesjährigen Berliner JazzFestes bilden sollte. Doch mit seinem heutigen Auftritt im Tränenpalast wurde dieser Programmpunkt gekippt. Schließlich muß eines der höchstsubventionierten Festivals Exklusivität wahren. Maxi Sickert

Pharoah Sanders am 10.10. um 21 Uhr im Tränenpalast, Reichtagsufer 17, S- und U-Bahn Friedrichsstraße