Der gnädige Himmel über Bursa

Vor dem heutigen EM-Qualifikationsspiel gegen die bertifreien Deutschen sind die Spieler und der Trainer der türkischen Mannschaft höchst optimistisch  ■ Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Gäbe es nicht die Krise mit Syrien, drohte nicht ein Krieg mit dem Nachbarn im Südosten, die türkischen Medien hätten derzeit nur ein Thema: Werden wir die „deutschen Panzer“ schlagen? Der überragende Sieg gegen Nordirland vor wenigen Wochen hat hier vor allem psychologische Spuren hinterlassen. „Wir können es schaffen“, gibt sich der Star der türkischen Nationalmannschaft, Hakan Sükür, vor dem heutigen EM- Qualifikationsspiel in Bursa (19 Uhr, ARD) ganz optimistisch.

Und Mustafa Denizli, der bis vor wenigen Monaten von den Kollegen der großen Vereinsmannschaften eher mitleidig belächelte Coach der türkischen Nationalauswahl, sieht sich bereits auf der Siegerstraße: „Ich habe mir die Deutschen als Gegner gewünscht“, bekennt er. „Nach dem Abgang von Vogts herrscht Chaos bei den Deutschen.“ Während der WM in Frankreich hatte Denizli dagegen noch auf Vogts gesetzt und gehofft, daß dessen Team erfolgreich spielen möge. Dann nämlich würde es unverändert mit all seinen Veteranen in die EM-Qualifikation gehen und um so leichter zu besiegen sein. Diesen Spaß hat ihm Kroatien mit dem Viertelfinalsieg in Lyon verdorben, und nicht einmal auf die Patzer von Lothar Matthäus können die Türken hoffen, nachdem sich der Münchner beim 2:2 gegen Dortmund am letzten Sonntag einen Muskelfaserriß zuzog.

Die bisherige Bilanz zwischen Deutschland und der Türkei gibt für großen Optimismus am Bosporus eigentlich nicht viel her. Nur ein einziges Mal, 1951 in Berlin, haben die Türken ein Spiel gegen die Deutschen gewonnen (2:1). Doch der türkische Fußball ist international im Kommen. Nicht nur die Nationalmannschaft hat zuletzt Erfolge gefeiert, auch die drei großen Vereine aus Istanbul haben stark gespielt in den europäischen Wettbewerben. Galatasaray steht in der Champions League vor Juventus Turin an der Spitze der Gruppe B, Beșiktaș erreichte das Achtelfinale im Pokalsieger-Cup, und Fenerbahçe schied nur knapp gegen den italienischen Spitzenclub AC Parma aus. Europäische Mannschaften sind in der Türkei keine Angstgegner mehr. Und Bursa als Austragungsort gilt als gutes Omen.

Daß der türkische Fußballverband Bursa als Spielstätte gewählt hat, ist nicht, wie in deutschen Medien gemutmaßt, eine besondere Schikane gegen die Germanen. Hier, in der alten Hauptstadt der Osmanen, hat die Türkei im April 1997 Holland geschlagen. Die Hölle der einen ist der Himmel der anderen. Und der Himmel über Bursa scheint den Türken gnädig. Das Spiel wird jedenfalls restlos ausverkauft sein. Obwohl der Kartenverkauf offiziell erst am Donnerstag begann, war über die Hälfte der Tickets schon im Vorfeld vergeben. Deshalb blüht nun der Schwarzmarkt und verärgert die Fans mit Preisen um 100 Mark – für türkische Verhältnisse geradezu obszön teuer. Doch viele werden trotzdem zahlen, denn Dabeisein ist alles.

Fußball ist in der Türkei der Sport schlechthin. In der öffentlichen Aufmerksamkeit haben die traditionellen Sportarten wie Ringen oder Gewichtheben gegen Fußball keine Chance. Die türkischen Fans können von überschäumender Begeisterung sein, aber Hooligans kennt man hier nicht. Auch Alkoholexzesse sind in hiesigen Stadien unbekannt. Trotzdem ist die Stimmung oft überwältigend. Joachim Löw, der in dieser Saison die Mannschaft von Fenerbahçe trainiert, war nach dem ersten Heimspiel ganz geschafft. „So eine Begeisterung, so eine Stimmung, die gibt es in Deutschland nicht“, gestand er vor der türkischen Presse. Die Aufmerksamkeit der Medien konzentriert sich traditionell vor allem auf die Istanbuler Vereine. Als Fußballfan in der Türkei muß man sich zwischen Galatasaray, Fenerbahçe und Beșiktaș entscheiden. Seit Jahren wird die Meisterschaft zwischen diesen drei Clubs entschieden, deren Anhängerschaft sich über das ganze Land verteilt. In den letzten zehn Jahren gelang es lediglich einmal den Trabszonspor-Kickern vom Schwarzen Meer, sich gegen die Vorherrschaft der großen drei durchzusetzen.

Bei dem heutigen Spiel gibt es noch eine Besonderheit, die den besonderen deutsch-türkischen Verhältnissen geschuldet ist. Im türkischen Team spielt der Schalker Hami Mandirali und im deutschen Team Mustafa Dogan, der zur Zeit bei Fenerbahçe beschäftigt ist. Vor allem für Dogan, sollte er in Bursa eingesetzt werden, dürfte das ein Test in Sachen starke Nerven werden.