Ökolumne
: Unfaire EU

■ Neue Richtlinien würden Steuern für Firmen senken, für Private erhöhen

Europa nutzt den Großen und belastet die Kleinen – ein weitverbreitetes Gefühl. Gewinne und Arbeitslosigkeit explodieren, Nettolöhne und Sozialleistungen werden gesenkt. Wird durch die europäische Einigung das Steuersystem vernünftiger und fairer?

Das hängt auch davon ab, wie die Erträge aus Vermögen dazu beitragen. International anerkanntes Grundprinzip der Besteuerung von Kapitalerträgen ist: Löhne und Gewinne werden in dem Land besteuert, wo die Produktionshallen stehen (z.B. in Deutschland mit bis zu 60 Prozent), Zinsen hingegen am Wohnsitz des Gläubigers. So zahlen seit 1997 in den Niederlanden Finanzholdings ganz legal nur sieben Prozent Steuern auf ihre Zinseinkünfte. Mehr und mehr Firmen mit Hauptsitz in Deutschland transferieren deshalb ihr Eigenkapital in derartige Finanzholdings. Diese Eigenkapitalexporte sind darüber hinaus laut internationaler Finanzstatistik deutsche Direktinvestitionen im Ausland, die häufig von der alten Bundesregierung als Beleg für den Standortnachteil Deutschlands zitiert wurden.

Das ins Ausland exportierte Eigenkapital fließt als Kredit zurück nach Deutschland – zum Beispiel an die jeweilige Mutterfirma. Die Zinsen darauf werden ohne Steuerabzug an die Finanzholding im Ausland überwiesen und dort mit niedrigen Sätzen belastet. Ein gigantisches Arbeitsbeschaffungsprogramm für internationale Banken und Steuerberater zu Lasten des deutschen Fiskus.

Die wirkungsvollste Möglichkeit der Besteuerung dieser Zinsen ist eine Besteuerung beim Produktionsunternehmen. Auf die Hälfte der exportierten Zinsen muß zum Beispiel in Deutschland Gewerbeertragssteuer von rund 20 Prozent bezahlt werden. Ausgerechnet das will nun aber die Europäische Kommission in einer Richtlinie verbieten. Eine Besteuerung dieser Zinsen soll ab 2000, angeblich zur Durchsetzung eines einheitlichen Binnenmarktes und zur Vermeidung von Doppelbesteuerung, einzig und allein beim Empfänger zulässig sein. Das Europäische Parlament hat diesem Richtlinienvorschlag Mitte September 1998 zugestimmt. Nun fehlt noch die Entscheidung des Ministerrats.

Dabei wurde schon Ende 1997 ein „Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs in der EU“ beschlossen. Nationale Regierungen müssen Steueroasen abschaffen, das heißt, Auslandszinsen müssen genauso besteuert werden wie Inlandszinsen. Nun soll es aber auch in Zukunft keine einheitlichen europäischen Steuersätze geben. Statt die Niedrigsteuern auf Auslandszinsen zu erhöhen, müssen deshalb viele EU-Länder durch den so organisierten Steuerwettbewerb ihre Steuersätze für Inlandszinsen senken, um eine Kapitalflucht zu verhindern.

Die kleinen Leute können diese internationalen Verflechtungen nicht nutzen. Sie sehen aber nicht ein, daß sie als einzige die geltenden deutschen Steuergesetze einhalten müssen: Lohnsteuern und Sozialabgaben werden an der Quelle beim Arbeitgeber einbehalten; nur durch Schwarzarbeit kann die Belastung etwas gemildert werden. Kapitalerträge werden in Deutschland nur dann mit einer Quellensteuer belastet, wenn der Empfänger Steuerinländer ist, nicht aber, wenn er Steuerausländer ist. Viele Deutsche brachten ihr Geld nach Luxemburg und mutierten dadurch zum Steuerausländer – eine Art doppelte Staatsbürgerschaft?

Für Privatpersonen soll nun eine weitere neue EU-Richtlinie auch noch dieses Schlupfloch verstopfen: Zinszahlungen sollen ab 2001 EU-weit mit 20 Prozent Quellensteuer belegt oder offiziell an die nationale Steuerbehörde gemeldet werden. Diese Richtlinie gilt aber nur für Zinszahlungen an Privatpersonen, nicht an Unternehmen oder Finanzfonds.

Wenn die beiden neuen Richtlinienvorschläge der EU- Kommission vom EU-Ministerrat einstimmig verabschiedet werden, können in der Praxis Großanleger und Kapitalsammelstellen quellensteuerfrei ihre Zinsen kreuz und quer durch Europa transferieren, bis niemand mehr weiß, wo sie geblieben sind. Die von der grünen Europafraktion eingebrachten Änderungsanträge zur Gleichbehandlung von Kleinen und Großen wurden im Europaparlament teilweise nur mit knapper konservativer Mehrheit abgelehnt.

Die neue deutsche Regierung darf den Richtlinienvorschlägen nicht zustimmen. Die EU-Steuerpolitik muß geändert werden: Eine Quellensteuer auch für die Großen senkt die Belastung der Kleinen und macht eine europäische Sozial- und Umweltpolitik bezahlbar. Lorenz Jarass