Schaut auf diese Stadt

■ Einst kam die taz wegen der Berlin-Subventionen. Ab heute geben wir die „Berlin-Zulage“ zurück. Mit zwei Seiten Berlin jeden Tag

Wieso eigentlich Berlin? Daß die taz vor fast zwanzig Jahren eine Berliner Tageszeitung geworden ist, war nicht zuletzt eine finanzielle Entscheidung. Hier lockten die preiswerten Fabriketagen und die lukrative Berlin-Förderung. Daß die taz einmal in der Rolle der Hauptstadtzeitung sein würde, hat 1978 mit Sicherheit niemand gedacht. Die Vorstellung, daß am Ende des Jahrhunderts eine rot- grüne Regierung in „unsere Stadt“ ziehen würde – die taz-Gründer hätten nur ungläubig gelächelt.

Nun ist der Wechsel amtlich, und die Regierung packt die Koffer. Auch die taz stellt sich der neuen Lage: Ab heute werden wir unseren „Standortvorteil“ sichtbar machen. Mit zwei neuen Berlin- Seiten – täglich und überall.

Natürlich geht es uns nicht nur um die neue Regierung. Schon vor dem Umzug war die Stadt bewegt und spannend, hat sie sich diverse Male gehäutet. Vorbei sind die beschaulichen Zeiten im Windschatten der Mauer. Das Alternativ-Biotop hat sich zu einem umtosten Zentrum des zusammenwachsenden Deutschlands entwickelt. Die politischen und kulturellen Debatten der letzten Monate zeigen die neue Bedeutung Berlins: Hier wird um das Holocaust-Denkmal gestritten, hier, in der einzigen westostdeutschen Stadt, holt die PDS bei der Bundestagswahl drei Direktmandate. Kann man für eine gewachsene Stadt eine neue Mitte auf dem Reißbrett entwerfen, wie beim Potsdamer Platz geschehen? Soll der „Palast der Republik“ abgerissen, das alte Schloß wiederaufgebaut werden? Mit den Debatten um die Berliner Stadtentwicklung wird exemplarisch auch der Umgang mit der neuen Größe, der neuen Rolle Deutschlands diskutiert. Wer in die Ostberliner Plattenbausiedlungen schaut, will auch etwas über die Befindlichkeiten des „neuen Deutschland“ wissen.

Aber nicht alles ist neu. Auch die klassischen taz-Themen werden in Berlin augenfällig wie sonst nirgends: Multikulti ist hier eine täglich Realität. Aber gewiß keine Idylle. Vielmehr droht eine zunehmende Segregation von deutschstämmiger und immigrierter Bevölkerung, statt Mischung die Ghettoisierung. Alles spannende Themen, wie wir finden, die unsere LeserInnen interessieren werden.

Auch in Berlin wollen wir LeserInnen hinzugewinnen. Denn hier „vor Ort“ ist die Verankerung der taz im Vergleich zu den angestammten Lokalblättern vergleichsweise gering. Das liegt nicht nur an den Millionensummen, mit denen der Berliner Zeitungskrieg zwischen den Konkurrenten geführt wird. Auch weil die taz immer schon mehr eine überregionale als eine Lokalzeitung war, hatten wir es vor unserer eigenen Haustür traditionell schwer.

Jetzt wollen wir es wissen! Ab heute werden wir auch einen verbesserten Berliner Lokalteil präsentieren: mit mehr Nachrichten und Hintergründen, einer täglichen Kulturseite und einem ausführlichen Veranstaltungskalender. Wir versprechen uns von dieser „Doppelstrategie“, daß die taz für Sie in jedem Fall interessanter wird – unabhängig davon, ob Sie in Berlin leben oder anderswo.

Konzentriert sich die taz nicht zu sehr auf ihre „piefige“ Hauptstadt, statt die ganze Welt im Blick zu haben, fragen uns dieser Tage einige skeptische LeserInnen und GenossInnen. Keine Sorge. Die Berlin-Berichterstattung ist ein zusätzliches Angebot. Die Auslandsthemen bleiben uns so wichtig wie bisher. Und das Netz unserer Regionalbüros haben wir gerade verdichtet um Kiel, Schwerin, Dresden und Stuttgart.

Wir bedanken uns bei den taz- GenossInnen, die diese Investition mit ihren neuen Einlagen möglich gemacht haben, und hoffen, daß Ihnen unsere „Berlin-Zulage“ gefällt. Klaudia Brunst, Bascha Mika und Michael Rediske