■ SommerSchule
: Zweite Bildungsreform

In der SommerSchule debattieren LeserInnen die Zukunft von Schule und Hochschule.

Es scheint heute kaum noch einen Bereich der Gesellschaftspolitik zu geben, der sich nicht auf seinen ökonomischen Nutzen für den sogenannten Wirtschaftsstandort befragen lassen muß. Dies führt dazu, daß die Menschen ihre individuellen Möglichkeiten der Lebensgestaltung verlieren. Rot und Grün haben es in der Opposition nicht vermocht, sich dem entgegenzustellen. Das zeigt die Hochschulpolitik, wo die Sozialdemokraten am neoliberalen Hochschulrahmengesetz (HRG) mitgestrickt und die Grünen eine kapitalkonservative Reform der staatlichen Studienförderung (BAFF) entworfen haben. Diese Politik muß sich in der Regierung ändern. Rot-grüne Bildungspolitik muß wieder auf die Idee der freien und selbstbestimmten Entfaltung der Persönlichkeit des Individuums verpflichtet werden. Wenn Bildung und Ausbildung stärker als Möglichkeit individueller wie gesellschaftlicher Emanzipation begriffen werden, könnte eine „Zweite Bildungsreform“ gelingen. Ein solcher Aufbruch nach der Bildungsexpansion der 70er müßte zwei Kernelemente enthalten.

Offene Hochschule

Zunächst ist die erreichte Öffnung der Hochschulen weiterhin zu gewährleisten und auszubauen. Alle verfügbaren Prognosen für den Arbeitsmarkt deuten nämlich darauf hin, daß künftig nicht weniger, sondern mehr qualifiziert ausgebildete und umfassend gebildete Menschen gebraucht werden. Die mit der letzten HRG-Novelle eingeführten Hindernisse beim Hochschulzugang sind daher zurückzunehmen. Stattdessen ist es erforderlich, StudienanfängerInnen angemessen an wissenschaftliches Arbeiten heranzuführen. Es genügt allerdings nicht, mehr junge Menschen in die Universitäten zu locken. Sie benötigen, was schon lange nicht mehr vorhanden ist: angemessene Studienbedingungen. Deshalb muß die SPD bereits im Haushaltsjahr 1999 damit beginnen, wie versprochen die Investitionsausgaben in Bildung, Wissenschaft und Forschung innerhalb von fünf Jahren zu verdoppeln. Auch der Anteil des Bundes an der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau ist deutlich zu steigern. Hochschulen sind öffentlich zu finanzieren.

Nachhaltig forschen

Im Zeichen der Globalisierung sollte nach dem Willen des scheidenden Bildungsministers Jürgen Rüttgers (CDU) die Reform des deutschen Hochschulwesens die internationale Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen. Erstaunlich ist, wie wenig Rüttgers und andere die globalen Problemlagen tatsächlich zum Gegenstand aktueller Forschung machen. Ein Beispiel: Die Weltbevölkerung wird bis 2030 aller Voraussicht nach auf zwölf Milliarden Menschen ansteigen. Was aber bedeutet dies für den Ressourcenverbrauch? Was bedeutet dies für die Art und Weise, wie wir in Zukunft industrielle Produktion organisieren? Was heißt das für die ökologischen und sozialen Folgen, die sich daraus ergeben? Die derzeit technologiezentrierte und an kurzfristigen ökonomischen Zielen ausgerichtete Forschungspolitik beantwortet solche Fragen nicht. Die Abschätzung der sozialen und ökologischen Folgen aber, die sich aus einer technologischen Innovation ergeben, wird wichtiger denn je. Daher muß die Forschung neu orientiert werden – auf das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung. Jürgen Renner

Der Autor koordiniert die Hochschulgruppen der Jusos. Beiträge an: bildung@taz.de