Spirituell gegen Globalisierung

Bremen zelebriert einen Kongreß neun Typs. Hausfrauen, Zukunftsforscher und Zenmönche diskutieren über Finanzmärkte und Blasenbeschwerden  ■ Aus Bremen Barbara Kern

Die 68er Generation waren nicht die ersten, die gegen die großen, gemeinen polit- ökonomischen Strukturen mit der Arbeit am eigenen Seelenpflänzchen arbeiteten. Sie werden auch nicht die letzten sein. Denn seit fünf Jahren kämpft in Bremen, einst Deutschlands Laboratorium für soziokulturelle Experimente, ein Kongreß wacker ums Überleben, der politische und private Revolutionen zu versöhnen sucht.

Unter dem fast peinigend euphorischen Titel „Internationaler Kongreß Visionen menschlicher Zukunft“ werden für schlappe 380 Mark ein Wochenende lang Podiumsdiskussionen angeboten zum kompletten Satz an Schlüsselthemen unserer Zeit: Neuorganisation der Arbeitswelt, krankes Gesundheitssystem, Renovierung des Bildungssystems. Es geht um alles. Und damit um nichts – wie Kritiker des Kongresses mosern? Zeitlich parallel zur Durchleuchtung der Globalisierung führen Workshops ein in die Geheimnisse von Zenmeditation, Bachblütentherapie, Qi Gong oder Musiktherapie. Und wer Glück hat, wird von Shiatsumeister Wataru Ohashi als Demonstrationsobjekt für eine 50-Personen-Gruppe auserkoren und kräftig durchgeknetet.

In der kreativen Erschöpfungsphase zwischendurch huscht man im postmodernen „Congress Centrum Bremen“ zwischen rosa und chromglänzendem Innendekor eine Rolltreppe hinab zur Messe „Natürlich leben“. Wie auf all den anderen einschlägigen Öko-Esoterik-Messen kann man dort für jeden maladen Kubikzentimeter Körper eine andere Öko-Kosmetikemulsion erwerben. Oder aber ein häßliches Metallgestell mit dem schönen Namen „Pyramidenstern“, das durch eine (natürlich wissenschaftlich überprüfte) „Energieabstrahlung“ von 87.000 Dingern namens „Bauvis“ Elektrosmog vertreibt und „Aufhellung der Stimmungslage“ garantiert.

Gleich nebenan bei der Haiti- Initiative gibt es für 50 Mark einen Gürtel aus echtem Tierhorn, der nicht nur sündhaft billig ist, sondern den Mehrwert des Gutmenschgefühls bietet: Noch im Protest überlebt ein Fragment der Ausbeutung. Umschwirrt von ätherischen Düften und Trommelklängen kann man sich vom netten Herrn vom Verlag „Der Dritte Weg“ die Malaise mit den wuchernden Finanzströmen erklären lassen. Etwas fehl am heilig vibrierenden Platz ist er froh, einmal nicht mit routinierten Selbstbefreiern über Körperströme debattieren zu müssen.

17.000 Menschen besuchen die Messe, rund 1.000 Menschen den Kongreß. Kongenial kunterbunt zum Warenangebot ist die Klientel. Die vielleicht 50jährige Hausfrau aus Freiburg wirkt gar nicht esoterisch blaß, sondern gutgelaunt und zupackend. Auf den Kongreß aufmerksam gemacht hat sie ihr Heilpraktiker – der für den dritten, vermurksten Halswirbel. Die Sozialpädagogin aus dem nahen Oldenburg ist zum fünften Mal dabei. Vom konfusen Vortrag des amerikanischen Philosophieprofs und Unternehmensberaters Frithof Bergmann über ein „Arbeiten, das wir wirklich-wirklich wollen“, nimmt sie sogar etwas mit nach Hause: Bei der nächsten Besprechung mit Kollegen wird sie nicht mehr nur über die Effektivität ihrer Arbeit sprechen, sondern auch darüber, wie man Arbeit für sich selbst angenehmer gestalten kann. „Vielleicht jede Stunde gemeinsam ein paar Qi-Gong-Übungen einlegen“, meint die Oldenburgerin.

Die respektablen Besucherzahlen erzielt man durch die Mischung aus Service und Namen. Diesmal kamen nicht nur die Koryphäen der jeweiligen Disziplinen, sondern der unvermeidliche Franz Alt, Barbare Rütting, Haitis Ex- Präsident Jean-Bertrand Aristide und die Nobelpreisträgerinnen Rigoberta Menchú und Vandana Shiva, einst Quantenphysikerin, heute Streiterin für eine gerechte Verteilung gesunder Lebensmittel. Eine Grenzspringerin hin zur Praxis wie viele hier. Die Jahre davor dutzte sich jovial alles, von Dorothee Sölle, Eugen Drewermann und Paul Watzlawick bis zum Cheyenne-Häuptling und der Maya- Priesterin, vom Zukunftsforscher bis zum alten, weißbärtigen Reichianer samt Orgon-Akkumulator.

Bei solch wendig-aufwendigem Grenzverwischen zwischen Wissenschaft und Esoterik hagelte es natürlich Angriffe. An vorderster Front betätigte sich dabei die ehemalige Grüne Jutta Ditfurth mit ihrem beliebten Totschlagargument „Faschismus“. Der Protest zeigte Wirkung. Er ist vielleicht nicht unbeteiligt daran, daß die Vertragsmodalitäten mit dem Veranstaltungsort dieses Jahr ungünstiger ausfallen, und Bremens Bürgermeister Henning Scherf (SPD) nicht mehr als Schirmherr fungiert. Besonders im letzten Jahr mußte man sich gegen grobschlächtige Vorwürfe in endlosen Presserklärungen wehren.

Frank Siepmann und Annelie Keil beglücken Bremen seit fünf Jahren mit den Visionen menschlicher Zukunft. Die Veranstalter sind so wie der Kongreß: Der eine, Siepmann, ein unbestrittenes Organisationstalent, dessen diverse Unternehmungen nicht immer von glücklichem Ausgang waren, und Herausgeber der Gesundheitszeitschrift Forum mit Schwerpunkt Heilpraktik. Die andere, Keil: zu ihrem heutigen Leidwesen einst Verfechterin des chinesischen Wegs samt Kulturrevolution und jetzt streitbare, engagierte Bremer Professorin der Sozialwissenschaften. Erklärtes Ziel des Kongresses ist es, all das, was unter dem Logo „Spiritualität“ firmiert, endlich vom Ruch der autistisch-selbstverliebten Egomanie zu befreien und mit gesellschaftskritischen Ansätzen rückzukoppeln. Eine spannende Sache. Und konkret?

Stimmheilerin Jill Purce hat „im Moment das Gefühl, das Gaya ihre Stimme verloren hat“. Das ist schlecht. Denn schließlich beweisen schon Bilder von den glücklich dahinsingenen Dombauarbeitern des Mittelalters, daß Singen unabdingbar ist zum Herstellen von Gemeinschaft. Und wie kommunizieren wir dagegen heute? Durch PC und TV. Was tun? Der Name „Resonanz“ sagt eigentlich schon alles Wesentliche: Mittels Singen kann man die gekappte „Beziehung zwischen Innen und Außen“ wieder herstellen. Was von hohem praktischem Wert ist. Geraten wir zum Beispiel beim Segeln in ein böses Unwetter, dann vertreiben wir es durch mongolischen Obertongesang.

So oberflächlich die Zivilisationskritik, so oberflächlich die Lösungen. Die Referenten der Esoterik-Abteilung schwingen heftig zwischen allgemeinsten Abstrakta und farbigen Anekdoten. Manche sprechen angenehm nüchtern, andere machen effekthascherische Pausen oder schließen schon mal die Augen, und Zen-Buddhist Geshe Ngawang erstaunt durch die aufgewühlte, offensive Stimm-Melodie eines frechen Teenagers. Über einen Kamm zu scheren ist das alles nicht. Die Podiumsdiskussion mit den Dritte-Welt-Stars verkam ein wenig zur Selbstanfeuerung: Wir müssen/wollen/können was ändern. Aristide sprach sogar von Umverteilung. Und auch „kulturelle Grenzen können wir überschreiten“. Vielleicht ist das Erinnern an Selbstverständlichkeiten wichtig. Der Weg von derlei Parolen bis zu den IWF-Auflagen oder Tarifabschlüssen scheint aber unendlich weit.

Auch der Biologe Rupert Sheldrake war da und stellte seine Experimente vor mit Hunden, die den Zeitpunkt der Rückkehr ihres Herrchens vorausahnen. Der sympathisch-nüchterne Brite glaubt, daß psychische Energien nicht bei der Hautgrenze halt machen, sondern nach außen wirken können, ähnlich wie magnetische Energien. Skeptisch allerdings ist er gegenüber der Geschichte mit der weggesungenen Klimaproblematik von seiner Ehefrau Jill Purce. Doch beharrt er darauf, daß Wissenschaft den Mut finden muß, alles unvoreingenommen zu untersuchen. So grotesk in manchem Detail, so interessant ist das Konzept als Ganzes, auch für Esoterik- Hasser.