Anlauf für Westsahara

■ Ein Treffen zwischen Vertretern Marokkos und der Polisario soll das geplante Referendum vor dem endgültigen Scheitern bewahren

Madrid (taz) – Die Vorbereitungen für ein UN-Referendum über die Zukunft der Westsahara sind ins Stocken geraten. Der ehemalige US-Außenminister James Baker wird deshalb die Frente Polisario, die für die Unabhängigkeit der ehemaligen spanischen Kolonie eintritt, und Marokko, das den Landstrich an Afrikas Westküste seit 1976 militärisch besetzt hält, Mitte Oktober in Lissabon an den Verhandlungstisch holen. Baker, der Gesandte von UN-Generalsekretär Kofi Annan, soll die beiden Parteien dazu bewegen, einen Kompromiß zu finden, um die seit einem Waffenstillstand 1991 immer wieder aufgeschobene Volksbefragung doch noch zu ermöglichen.

Strittiger Punkt sind einmal mehr die Listen der Wahlberechtigten. Obwohl die zuständige UN- Mission, die Minurso, die Wähleridentifizierung Anfang des Monats mit 147.350 Eingeschriebenen für abgeschlossen erklärte, möchte Marokko drei weitere Volksstämme mit insgesamt 65.000 Menschen als Wahlberechtigte anmelden. „Und das, obwohl sie keine der notwendigen Bedingungen erfüllen, auf die wir uns unter der Vermittlung von James Baker letzten Herbst in Houston geeinigt haben“, beschwert sich der Sprecher der politischen Vertretung der Polisario in der ehemaligen Kolonialmacht Spanien, Omar Mansour.

Die Abkommen von Houston legt fünf Kriterien fest. Wer wählen will, muß mindestens eines davon erfüllen. Entweder wurde die betreffende Person bei der letzten Volkszählung der spanischen Kolonialbehörden 1974 erfaßt, oder sie muß nachweisen, daß sie von jeher in der Westsahara gelebt hat und dennoch nicht erfaßt wurde. Hinzu kommen die Nachkommen beider Gruppen sowie die Menschen, die zur Kolonialzeit sechs Jahre ununterbrochen im Land gelebt haben oder mit Unterbrechungen zwölf Jahre.

Nur 600 Menschen der drei fraglichen Stämme wurden beim spanischen Zensus 1974 erfaßt. Weitere 4.000 meldeten sich bei den Registrierungsbüros. Der Rest scheint selbst nicht an die Propaganda von Marokkos König Hassan II. zu glauben, wonach sie keine Südmarokkaner, sondern Nord-Sahrauis sind, und blieb zu Hause.

„Mit seiner Boykotthaltung will Marokkos Regierung Zeit gewinnen, denn die bisherige Registrierung scheint ihnen nicht entgegezukommen“, sagt Polisario-Vertreter Mansour und verweist auf die von Minurso bekanntgegeben Zahlen. In den von der Polisario kontrollierten Flüchtlingslagern im westalgerischen Tindouf wurden insgesamt 34.800 Menschen erfaßt. Im von Marokko besetzten Teil der Westsahara 61.000, in Marokko selbst weitere 45.800 und im Nachbarland Mauretanien 5.400. Doch Registrierung ist nicht gleich Wahlrecht. Während die Flüchtlingen in Tindouf und Mauretanien so gut wie alle im Zensus der Spanier aufgeführt sind, wurde aus UN-Kreisen bekannt, daß höchstens 55 Prozent der in den marokkanisch kontrollierten Gebieten registrierte Personen zugelassen werden können. Die Niederlage Marokkos bei der Abstimmung scheint so vorprogrammiert.

In Lissabon gilt es jetzt, den verfahrenen Karren wieder flott zu machen. „Die marokkanische Regierung muß erklären, was sie glaubt, in Houston unterschrieben zu haben. Und dann mal sehen, wie James Baker das sieht“, zeigt sich Mansour optimistisch. Daß das Referendum, wie ursprünglich vorgesehen, Anfang Dezember stattfinden wird, daran glaubt keiner mehr – selbst wenn es in Lissabon zu einer Einigung kommt. Reiner Wandler