Verschnaufpause für Indianer

■ In Kolumbiens Karibikregion spitzt sich der Konflikt um das Urra-Wasserkraftwerk zu. Paramilitärs wollen den Widerstand ersticken. Verfassungsgericht bremst Staudammprojekt

Berlin (taz) – Aufwind für die GegnerInnen eines der langwierigsten und umstrittensten Großprojekte Kolumbiens: Der Verfassungsgerichtshof in Bogotá hat einer Klage der Emberá-Katio-IndianerInnen stattgegeben und die Unterbrechung der Arbeiten am Urrá-Staudamm in der Karibikprovinz Córdoba verfügt. Bis zu einem für Oktober erwarteten Urteil und dem Placet des Umweltministeriums dürfen die 7.400 Hektar am Oberlauf des Sinú-Flusses nicht geflutet werden.

Seit 1992 wird das seit Jahrzehnten geplante Wasserkraftwerk gegen den wachsenden Widerstand der ansässigen Bevölkerung durchgesetzt. Die beiden letzten Regierungen ignorierten die verfassungsmäßig garantierten Grundrechte der indianischen Gemeinschaften und die Einwände von UmweltschützerInnen. Das Know-how und die Kredite für den Bau kommen vorwiegend aus Schweden und Rußland. Vor Ort profitiert die lokale Oligarchie, deren VertreterInnen im Kongreß die erforderlichen Mehrheiten organisieren.

Bereits vor der Flutung hat der Staudamm das soziale und ökologische Gleichgewicht in der Region gestört. Anfang 1996 war der Sinú umgeleitet und die Migration der Fische zu ihren Laichplätzen unterbrochen worden. Seitdem ist der wichtigste Speisefisch, der Bocachico, so gut wie verschwunden. Hunderte von FischerInnen flußabwärts verloren ihre Lebensgrundlage und wanderten in die Großstädte ab. Der wichtigste Handelsweg der Emberá-Katio ist abgeschnitten. Dutzende von Familien wurden umgesiedelt – vor allem mestizische SiedlerInnen, aber auch einige IndianerInnen.

Die starke Zuwanderung im Zuge der Baumaßnahmen stellt eine tödliche Bedrohung für die Kultur der Emberá-Katio dar. Zugleich hat der Widerstand gegen das Projekt im Schicksal der IndianerInnen den öffentlichkeitswirksamsten Hebel gefunden – hierzulande setzen sich die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ und das Ernährungsnetzwerk FIAN mit Eilbriefaktionen für sie ein.

Inzwischen haben sich auch die Gemeinschaften am Sinúdelta, das 300 Kilometer nördlich des Staudamms liegt, im Verein „Asprocig“ organisiert und fordern staatliche Hilfsmaßnahmen.

Im Delta droht die Trockenlegung fruchtbarer Sumpfgebiete und die Versalzung, Tausenden von kleinen BäuerInnen und FischerInnen würde die Lebensgrundlage entzogen. Schon jetzt kaufen GroßgrundbesitzerInnen Land auf, das sie zur agroindustriellen Produktion und zur Viehzucht nutzen wollen. Sie gehören daher zu den vehementesten BefürworterInnen des Staudamms. Unmittelbar südlich der Baustelle liegt der Paramilloregenwald, dessen Artenreichtum ebenfalls in Gefahr ist – besonders, wenn das Projekt eines Tages ausgeweitet werden sollte.

Wie bei den meisten sozialen Konflikten in Kolumbien mischen auch in diesem Fall bewaffnete Gruppen mit. Vor Jahren protestierte die FARC-Guerilla auf ihre Weise gegen das Projekt, indem sie monatelang zwei schwedische Ingenieure verschleppte. Heute ist die Region eine Hochburg der rechten Paramilitärs. Auf ihr Konto gehen die Morde an prominenten Staudamm-KritikerInnen wie dem Universitätsprofessor Alberto Alzate und dem 60jährigen Emberá-Wortführer Alonso Domicó. Unauffälliger verdrängen sie auf Geheiß ihrer mächtigen Financiers die Bauern- und Fischerfamilien am mittleren und unteren Sinú. „Gegen diese Banden wird nicht vorgegangen; im Gegenteil, sie haben ihre Offensive verstärkt“, so ein Asprocig-Vertreter.

„Selbst volkswirtschaftlich ist Urrá völlig unsinnig“, meint die Kasseler Soziologin Clarita Müller-Plantenberg, die mehrere Studien zum Thema veröffentlicht hat und einen alternativen Bewirtschaftungsplan für das Sinútal befürwortet. Mit einem vollständigen Stopp rechnet vor Ort allerdings niemand. Wahrscheinlicher ist, daß das Verfassungsgericht umfangreiche staatliche Programme zur Schadensbegrenzung anordnet. Eine internationale Kampagne soll nun dazu beitragen, daß diese tatsächlich zugunsten der FischerInnen, Bauernfamilien und IndianerInnen Córdobas durchgeführt werden. Gerhard Dilger