Es trifft nicht nur die Reichen

Rot-grüne Koalition plant, 72 Steuervergünstigungen zu kürzen oder zu streichen. 40 Milliarden Mark Mehreinnahmen werden erwartet. Auch Achim W. ist betroffen  ■ Von Patrik Schwarz

Berlin (taz) – So dürfte sich Grünen-Wähler Achim W. den Wechsel nicht vorgestellt haben. Dabei hatte alles ganz verheißungsvoll begonnen. Kurz bevor Kohl mit Achim W.s Hilfe abgewählt wurde, hatte W. beschlossen, seinen Traum zu verwirklichen und Ökobauer zu werden. Viermal, so hatte sich W. ausgerechnet, würde ihm der Staat dabei mit Steuervergünstigungen unter die Arme greifen.

Der Ökobaumarkt, bei dem er bisher angestellt war, mußte ohnehin Personal einsparen und würde froh sein, W. mit einer großzügigen Abfindung sozialverträglich an die Luft setzen zu können. Von dem Geld und den eher bescheidenen Aktienerlösen aus einigen Feierabendspekulationen plante er, ein bezauberndes altes Bauernhaus zu kaufen, das als Baudenkmal ausgewiesen war. Steuervergünstigungen würde ihm das Finanzamt gewähren bei der Abfindung, der Renovierung des alten Bauernhauses, dem Verkauf der Aktien und in Form des Steuerfreibetrags für Landwirte. W.s Pech: Gestern wurde bekannt, daß die rot-grüne Regierung genau diese Begünstigungen abschaffen will – wie noch ein paar Dutzend andere auch.

Unversehens dürfte W. gewahr werden, daß die Umschichtung der Steuern, von denen er bei der morgendlichen Zeitungslektüre so oft gelesen hatte, nicht nur anonyme „Reiche“ in ihren Schlössern und Villen betrifft, sondern auch den rot-grün wählenden Mittelstand.

Damit Rot-Grün wie geplant die Lohnnebenkosten im Lauf der Legislaturperiode um zwei bis vier Prozentpunkte senken kann, müssen die Koalitionäre mehrere Dutzend Milliarden Mark auftreiben. Die Ökosteuern, über die SPD und Grüne an diesem Wochenende in Bonn unter dem lautstarken Gezeter der Wirtschaftsverbände verhandelten, spielen dabei zumindest anfänglich eine eher nachgeordnete Rolle. Finanzpolitisch fällt etwa die Erhöhung der Mineralölsteuer fürs erste weniger ins Gewicht, als der politische Wirbel vermuten läßt. Gerade mal 4,5 Milliarden Mark Mehreinnahmen ließen sich bei 6 Pfennig Aufschlag pro Liter Benzin erzielen. Die jetzt bekanntgewordene interne rot-grüne Streichliste für Steuervergünstigungen umfaßt 72 Einzelposten und soll 40 Milliarden Mark in die Kassen spülen.

Zu erwarten sind für die nächsten Tage Proteste von den Vertretern so gegensätzlicher Interessengruppen wie der Kirchen, der Kleinsparer und links-alternativen Mittelständlern: Von den Streichungen oder Kürzungen sind zum Beispiel betroffen die Absetzbarkeit von Kirchensteuern, der Sparerfreibetrag von 6.000 Mark auf Zinseinkünfte und die Begünstigung von Mitarbeiterbeteiligungsmodellen. (siehe Kasten links)