Die PDS will sozialdemokratischer sein als die SPD

■ Regierung und Opposition in einem? Der Politologe Gero Neugebauer über die Perspektiven der PDS

taz: Die PDS hat bei der Bundestagswahl erstmals die Fünfprozenthürde übersprungen und sitzt mit einer eigenen Fraktion im Parlament. Ist die PDS damit über Nacht zu einer bundesweiten sozialistischen Partei geworden?

Gero Neugebauer: Nein. Allein die Tatsache, daß die PDS eine Fraktion im Bundestag stellt, kann dafür kein Kriterium sein. Die Verteilung der Stimmen und Mandate ist bei der Partei nach wie vor zu ostig – um einen Spruch von Gysi aufzunehmen, der behauptet, Schröder sei ihm zu mittig. Im Westen ist die PDS immer noch eine Splittergruppe, sie ist dort organisatorisch nicht verankert.

Die PDS ist also nach wie vor eine ostdeutsche Volkspartei?

Ja. Sie hat nur den Anspruch, die bundesdeutsche linkssozialistische Partei zu werden; sie ist es aber noch nicht. Wenn man sich allein die Arbeit der letzten vier Jahre im Bundestag ansieht, dann ist die PDS dort eher als Reparaturbrigade für Wendeschäden aufgetreten. Mit der einseitigen Betonung von sozialer Gerechtigkeit entzieht sich die Partei nach wie vor dem Modernisierungsdiskurs.

Die PDS ist durch den Wahlerfolg keine andere Partei geworden. Aber ihr Bild in der Öffentlichkeit wandelt sich. Selbst die FAZ schreibt: „Die SED-Nachfolgepartei hat begonnen, sich vom Ruch der sozialistischen Milieupartei zu lösen.“

Es gibt so etwas wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Je mehr die PDS behauptet, eine ganz andere Partei zu sein, desto mehr wird sie es auch, weil es in der Öffentlichkeit so wahrgenommen wird. Im Osten spielt es kaum noch eine Rolle, daß die PDS der Nachfolger der SED ist. Die Wahrnehmung der Partei wird sich jetzt auch im Westen ändern. Die PDS hat eine eigene Fraktion, sie stellt einen Bundestags-Vizepräsidenten, ihr protokollarisches Gewicht wird größer, sie wird in den Medien eine größere Rolle spielen.

Die PDS wird damit Teil des bundesdeutschen Systems. Das heißt im Umkehrschluß: Die Bundesrepublik ist für die PDS wählbar geworden. Ist sie damit im Westen angekommen?

Nein, nicht weiter als bisher. Die Partei fühlt sich zwar endgültig akzeptiert und anerkannt. Nur ist das keine Voraussetzung dafür, daß sich ihre Mitglieder und Wähler auch mental in die Ordnung der Bundesrepublik integrieren, also mit der Demokratie zufrieden sind.

„Jetzt hat sich für uns die Einheit gelohnt“, sagt Andre Brie, der Wahlkampfchef der PDS.

Dieser Satz beschreibt genau die Stimmung in der Partei. Und jetzt wird eine so junge Frau wie die 34jährige Petra Bläss auch noch Bundestags-Vizepräsidentin. Das hat für die PDS einen hohen Symbolwert, es wertet die Partei auf. Endlich sitzt eine von uns da oben – das ist das vorherrschende Gefühl. Ab jetzt wird es der PDS aber auch schwerer fallen, sich als Underdog darzustellen.

Hat sich die PDS als eine normale demokratische Partei links von der SPD etabliert?

Die PDS ist eine weitgehend demokratische Partei, und sie hat ihren festen Platz im bundesdeutschen Parteiensystem. Als linke Opposition könnte sie sich gegenüber einer rot-grünen Regierung profilieren. Ihr Anspruch ist ja, in allem radikaler und konsequenter zu sein als SPD und Grüne, also sozialdemokratischer oder grüner. Aber wenn sie nur Druck von links ausüben will, tut sie so, als ob sie mit im Regierungsboot sitzt und den Steuermann schubst. Ohne eine Alternative wird sie für Wähler im Westen, die von den Sozialdemokraten und den Grünen enttäuscht sind, nicht interessant – und entfremdet sich auch ihrer Basis im Osten.

Kann die PDS auf längere Sicht die Rolle einnehmen, die bisher die Grünen gespielt haben?

Nein, selbst wenn sie wollte. Bei der PDS treffen ja sehr unterschiedliche Parteiflügel und Kulturen aufeinander: Da sind einerseits die Kräfte, für die die PDS eine Bewegungspartei ist, und andererseits jene Leute, die das runderneuerte alte Parteimilieu repräsentieren. Die wünschen sich die PDS als eine etablierte Partei, die sich ihrer politschen Verantwortung stellt und da, wo es geht, mitregiert.

Wie wird sich vor diesem Hintergrund das Image der Partei ändern, wenn sie in Mecklenburg- Vorpommern zum ersten Mal Regierungsverantwortung übernehmen sollte?

Die Entwicklungen in Schwerin werden, was den Umgang mit der PDS betrifft, zu einer weiteren Normalisierung im Osten beitragen. Für die Partei selbst stellt eine Regierungsbeteiligung eine Zäsur dar. Es wird ihr Selbstverständnis von der PDS als einer oppositionellen und systemkritischen Partei radikal in Frage stellen.

Aber im Osten ist die PDS keine systemkritische Partei mehr. Sie ist drauf und dran, der CDU den zweiten Platz im ostdeutschen Parteienspektrum streitig zu machen. Ist die PDS damit nicht schon etabliert und staatstragend?

Sie ist auf dem Weg dahin. Sie wird ihre liebe Not bei der Beantwortung der Frage bekommen, wie man regieren und gleichzeitig opponieren kann. Die Kräfte in der Partei, die regieren wollen, sind vor allem von einem Motiv getrieben: nicht länger das Schmuddelkind der bundesdeutschen Politik zu sein. Aber was sie mit der Macht eigentlich anfangen will, diese Frage hat die PDS noch nicht geklärt. Interview: Jens König