Folgen eines freien Falls

■ In Deutschland starben 1997 vier Personen an den Folgen eines Fallschirmsprungs. Eine war die Bremerin Gundula Baltes. Zur „Bewältigung der Trauer“ bot der Sprung-Veranstalter ihren Freundinnen einen Schnupperkurs zum Selbstkostenpreis an

Einmal im Leben Fallschirm springen. Dafür hatte die Bremerin Gundula Baltes gespart. Der Schnupperkurs inklusive Sprung, den sich die Psychologiestudentin zum bestandenen Examen geleistet hatte, war für die TeilnehmerInnen „eine große Sache“, erinnert sich Mitspringerin Eva Lüers. „Wir waren alle aufgeregt.“ Ihr hatte der Vater den Sprung zum 18. Geburtstag spendiert. Ein paar Wochen später war sie gleich nach Gundula Baltes über Ganderkesee aus der Cesna gesprungen. Ihr Sprung verlief glatt. Der von Gundula Baltes nicht.

Die 32jährige muß während des Fluges das Bewußtsein verloren haben und starb noch in derselben Nacht an den Folgen des unkontrollierten Sturzes. Das war Ende September vergangenen Jahres. Im gleichen Jahr kamen drei weitere Personen durch Fallschirmsprünge zu Tode; 42 weitere wurden nach Angaben der Braunschweiger Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung schwer verletzt.

Bei der Bundesstelle liegt der Fall Baltes bis heute. Es gebe bislang keine Hinweise auf schuldhaftes Verhalten, heißt es dort inoffiziell. Doch noch ist der Abschlußbericht nicht geschrieben, auf den die Oldenburger Staatsanwaltschaft wartet. Sie muß entscheiden, ob der Tod der jungen Frau ein gerichtliches Nachspiel haben wird. „Noch ist alles offen“, erklärt dazu Oberstaatsanwalt Kaiser. Solche Verfahren könnten „je nach Sachlage“ sowohl Hersteller als auch Ausbilder oder den Veranstalter, in diesem Fall die Bremer Fallschirmsportgemeinschaft (BFG), treffen. Bei ihr hatte Gundula Baltes den Schnupperkurs plus einen zweiten – nie in Anspruch genommenen Fallschirmsprung – für insgesamt 405 Mark gebucht.

Die Freundinnen der Verunglückten haben Gundulas Geburtstag, an dem sich viele von ihnen einst kennengelernt haben, im Frühjahr noch einmal gemeinsam gefeiert. Den Todestag Ende September aber hat jede für sich verbracht.

„Das mit dem Fallschirmspringen, mein Gott, ich dachte, das wäre wie Führerschein machen. Ich hätte nie gedacht, daß da was passiert“, sagt die Freundin Erika Opitz im Rückblick. So wenig wie die anderen Freundinnen hätte sie je damit gerechnet, daß es ausgerechnet die kräftige, lebensfrohe Gundula zuerst treffen würde. „Die hatte doch immer was vor. Wenn sie Geld gehabt hätte, wäre sie in der Südsee Tiefseetauchen gewesen.“ Erst kurz vor ihrem Tod hatte sie dafür noch Schwimmen gelernt.

Trotzdem hatte die 32jährige übers Sterben schon nachgedacht. In ihrem Schreibtisch lag eine „Willenserklärung“; die beiden besten Freundinnen wußten, daß sie Gundula im Falle eines Falles beerdigen und auch den Friedhof bestimmen sollten. Heute liegt die Verunglückte auf dem Riensberger Friedhof. Mittlerweile auch mit Grabstein.

„Unglaublich, was man im Todesfall alles organisieren muß“, erinnert sich Opitz. Zum Unglaublichen gehörten für die Freundinnen auch die Preise einer Beerdigung samt Grab und Grabstein. „Gundula hatte ja zwei Sprünge bezahlt“, berichtet eine andere Freundin, deshalb schrieben sie die Fallschirmsportgemeinschaft mit der Bitte um eine Rücküberweisung der Summe für den geplanten zweiten Sprung an: „Wir benötigen das Geld für den Grabstein.“ Eine Kopie der Willenserklärung, die die Frauen als Bevollmächtigte ausweist, legten sie bei. Die Antwort der Fallschirm-Ausbilder nennen sie „einfach einen Hammer. Vollkommen gespürlos.“

Den „lieben Ausführenden der Willenserklärung“, schrieb die FSG, daß sie die Rücküberweisung der 110 Mark für den zweiten Sprung „gerne tätigen“ würde – vorausgesetzt, die Freundinnen könnten ihre Erbberechtigung nachweisen. Weiter hieß es: „Ich erinnere gerne an das mündlich Frau M. mitgeteilte Angebot, einen wie von Frau Baltes gebuchten Anfängerkurs (mit oder ohne Sprung) zu einem Sondertarif für die Trauernden zu realisieren. Sicherlich ist dies eine interessante Möglichkeit zur gedanklichen Bewältigung des tragischen Geschehnisses!“

„Das muß man sich vorstellen“ sagt Erika Opitz. „Meine Freundin ist dabei gerade gestorben – und dann kommt sowas.“ Rechtlich, das wissen die Freundinnen, haben sie nichts zu bestellen. Sie sind nicht die Erbinnen. „Da gab es auch nichts zu erben, sonst hätten wir das Geld für die Beerdigung ja nicht gebraucht.“ Trotzdem bleibt der Brief ein Schock. „Diese Sportgemeinschaft konnte überhaupt nicht mit der Situation umgehen.“

Vertreter der Fallschirmsportgemeinschaft, der damalige Geschäftsführer Holger Gerharz, der damals auf den Brief der Freundinnen geantwortet hatte, äußert sich dazu gegenüber der taz nicht direkt. Petra Kummt, heute „Mitarbeiterin in der Buchhaltung“ des – wie sie irrtümlich behauptet, „gemeinnützigen“ – Vereins, nimmt die Bitte der taz jedoch entgegen und kümmert sich hörbar verwirrt – „vielleicht bin ich ja jetzt Geschäftsführerin, ich weiß gar nicht“ – um eine Stellungnahme zu den Vorkommnissen.

Die gibt sie wenig später ab: Der damalige Geschäftsführer sei mit einer der Trauernden bekannt gewesen. „Weil die Freundinnen immer gesagt haben, daß sie sich gar nicht vorstellen können, wie so ein Sprung abläuft, hat er ihnen dieses Angebot gemacht. Zum Selbstkostenpreis.“ Danach habe der Verein in dieser Sache nichts wieder gehört. „Was mit den 110 Mark geschehen ist, kann ich nicht sagen.“ ede