Die Mär vom Weltklasseliebhaber

■ Weg von der Hamburger Schule, hin zum Schlager. Tilman Rossmy versucht sich neuerdings als naiv-zurückhaltender Soul-Crooner

„I got the fever“, teilt Tilman Rossmy zum Beginn seiner neuen Platte „Passagier“ mit und versucht das möglichst trocken zu sagen, cool in einem 60er-Jahre- Sinne, den schwarzen Rollkragen bis zum Kinn, Sartre im Kopf und Bebop in den Ohren. Aber heimlich, ganz heimlich, da hören wir Soul, Motown und Stax und alles, was süß und klebrig und wirklich cool ist. Nicht daß sich Rossmys neue Band anhören würde wie von Berry Gordy produziert, natürlich nicht, leider nicht. Rossmy macht nicht großen protzigen Glamour, sondern weiter stur seinen des öfteren doch etwas dröge dahindaddelnden Country-Pop-Folk-Versuch.

Seine Haltung aber ist Soul, wenn er sich immer wieder mit nölendem Tonfall zum ewigen Womanizer zu stilisieren versucht. Irgendwie funktioniert das alles allerdings nicht, so zum Beispiel auf der gemeinsamen Tour mit Bernd Begemann, neben dessen Entertainer-Qualitäten Rossmys ins Peinliche lappende Ehrlichkeit überaus unpassend wirkte. Die Mär vom Weltklasseliebhaber ist allerspätestens dann nicht mehr aufrechtzuerhalten, wenn die besungenen Verflossenen im Stadtmagazin die eigene Version der Affäre zum besten geben oder Rossmy ein Liebeslied ankündigt mit den Worten „O.k., das ist der 251. Song meiner Liebe zu Maria“. Die Soul-Crooner, die man bisher kannte, singen den gleichen Song über 251 Frauen und nicht 251 Songs über dieselbe Frau.

Auch die Idee, die Abkehr von der Hamburger Schule als Hinwendung zum Schlager zu inszenieren, muß scheitern, solange Rossmy der letzte Mut abgeht, sich endgültig von der Schimäre intelligenter Schlager zu verabschieden und sich völlig der eigenen Subjektivität hinzugeben.

In Essen, wo Rossmy aufgewachsen ist und Die Regierung stellte, mag der Abstand zwischen Vergnügen und Kunst nicht so weit gewesen sein. In Hamburg, wo er nun schon lange genug wohnt, eckt man mit solcher Naivität an: „Abends im Hotel hab ich mir meine Gitarre genommen und diesen kleinen Song geschrieben.“ Und er meint das ernst. Wir sind hier nicht in Tucson, Tilman, möchte man ihm vorsichtig ins Ohr flüstern. Aber verführerisch ist er schon, der Gedanke, wenn man nur wollte, ließe sich „dieses gute wilde Leben“ jederzeit leben.

Am Ende landet man auch beim Rossmy-Hören da, wo man beim Blumfeld-, Begemann- oder Tocotronic-Hören auch irgendwann landet: Hat man eine parallele Lebenslinie? Sind Rossmys Erfahrungen mit meinen vergleichbar? Tatsächlich ist es eher der Tonfall, der einen Verbindung aufnehmen läßt. Wer genug hat von Dauerreflexion, ständiger Ironie oder Zynismus, für den kann Rossmys Naivität eine reinigende Dusche sein. Thomas Winkler

13.10., 21 Uhr, Insel, Alt-Treptow 6, Treptow