Freie Fahrt in den Ruhestand

■ Ein BVG-Busfahrer, der eine taz-Mitarbeiterin in einem Leserbrief als "alternative Dreckschleuder" bezeichnete, wird bei vollem Lohnausgleich vom Dienst freigestellt und geht dann in den Vorruhestand

„Man muß ein Schwein sein auf dieser Welt“, singen Die Prinzen. Der Wahrheitsgehalt dieses Refrains wurde gestern bei einem Gütetermin vor dem Landesarbeitsgericht unter Beweis gestellt. In der Regel sind derlei Verfahren geprägt von Paragraphen und daher wenig spannend. Gestern aber fand ein Gütetermin statt, der neben höchst interessanten Einblicken in die Seele eines Berliner Busfahrers die Ungerechtigkeit dieser Welt demonstrierte.

Dem Busfahrer Bodo Gondeck war von der BVG wegen eines beleidigenden Leserbriefes an die taz fristlos gekündigt worden. Dagegen zog der 57jährige vor Gericht. Gestern nun sollte eine gütliche Einigung erzielt werden. Der Vorfall, der Gondeck zum Verfassen seines Briefes veranlaßte, ereignete sich am 1. Juli dieses Jahres an einer Bushaltestelle der Linie 241 in Kreuzberg. Eine deutsch-türkische Mitarbeiterin der taz, Songül Çetinkaya, wurde an der Bushaltestelle stehengelassen, obwohl sie den Türöffner betätigt hatte. Als sie dem Fahrer im nächsten Bus nachfuhr und an der Endhaltestelle zur Rede stellte, antwortete er ihr: „So ist es halt. Die einen dürfen rein, die anderen nicht.“ Die 24jährige beschwerte sich schriftlich bei der BVG und erhielt postwendend eine offizielle Entschuldigung. Ein BVG-Pressesprecher teilte ihr mit, daß man mit Gondeck „ein ernstes Wort geredet“ habe. Weil es „schon Vorkommnisse mit dem Fahrer gegeben“ habe, bestehe „Grund zur Annahme, daß an den Vorwürfen möglicherweise was dran ist“.

Gegenstand der gestrigen Güteverhandlung jedoch war nicht der Vorfall an der Bushaltestelle, sondern Gondecks fristlose Kündigung, die nach der Veröffentlichung seines Leserbriefs erfolgt war. Als Gondeck mitbekommen hatte, daß sich Songül Çetinkaya bei seinem Arbeitgeber beschwert hatte, hatte er selbst zu Stift und Papier gegriffen und so richtig Gas gegeben, um „meine Version dieser Märchengeschichte“ zu Papier zu bringen. Die taz veröffentlichte Songül Çetinkayas Brief an die BVG zusammen mit Gondecks Schreiben (siehe taz vom 24. Juli 1998). Darin ließ er seinem in 24 Berufsjahren angestauten Ärger freien Lauf. Songül Çetinkaya unterstellte er nicht nur, „wie die meisten Leser Ihres Schmierenblattes, ohne Fahrschein versucht“ zu haben, „hinten hereinzuschleichen“. Er nannte sie zudem „eine der unzähligen alternativen Dreckschleudern“. Wenn jemand „zu dämlich ist, selber zu fahren, andere Verkehrsmittel benutzt und selbst dort zu blöd ist einzusteigen... kann nur ein erbsengroßes Hirn haben“, schrieb er in holprigem Deutsch weiter. „Wenn Sie jetzt meinen, ich gehöre auch zu den Menschen, die vor Schmierfinken auf die Knie fallen und einschleimende Entschuldigungen abgeben, ist dies ein großer Irrtum“, endete sein Brief.

Eine Haltung, an der Gondeck auch gestern fest wie an seinem Lenkrad hielt. „Ich stehe nach wie vor zu dem Brief“, sagte er vor dem Gütetermin. „Ich habe mich bemüht, niemanden zu beleidigen“, sagte er allen Ernstes. In seiner Erklärungsnot vor den zahlreich erschienenen Journalisten malte er folgendes Bild seiner harten Berufsjahre: „Irgendwann kommt der Moment, da reicht es.“ Nach dem Gütetermin räumte er wenig überzeugend ein, daß „es einem im nachhinein vielleicht leid tut“. Gondeck hat gut lachen: Die vorläufige Einigung sieht vor, daß er bis zum Januar kommenden Jahres — dann wird er 58 Jahre — bei vollem Lohnbezug vom Dienst freigestellt wird. Am 22. Januar dann geht er mit 94 Prozent seines Verdienstes in den, wie man so schön sagt, wohlverdienten Vorruhestand. „Man muß ein Schwein sein auf dieser Welt.“ Barbara Bollwahn