Orden können ihn nicht ruhigstellen

■ Der Ost-West-Berliner Roland Jahn erhält das Bundesverdienstkreuz. Seine Geschichte läßt sich in 26 Bänden Stasi-Akten nachlesen

Orden machen alt. Roland Jahn lacht, seine schwere Lederjacke knarzt leise. Er hat ernsthaft erwogen, das Bundesverdienstkreuz abzulehnen. Wer so was kriegt, meint Jahn, wird zur Person der Zeitgeschichte abgestempelt. – Dabei ist er im Sommer gerade 45 geworden, Fernsehjournalist beim ARD-Magazin „Kontraste“, recherchiert Beiträge über Väter, die sich um die Alimente drücken, oder rechte Jugendliche in Brandenburg. Gute Arbeit, das schon, aber nicht ordensverdächtig. Warum also die Auszeichnung? Genau, nickt Jahn, als sei er der Interviewer: „Warum – und jetzt gerade?“

Jahns Geschichte findet sich in den Archiven von Joachim Gauck, der nicht nur Chef der Stasi-Akten-Behörde ist, sondern dank der peniblen Spitzelberichte in seinem Besitz inzwischen eine Art Archivar der DDR-Oppositionsbewegung. Der Vorschlag, Jahn auszuzeichnen, geht auf Gaucks Initiative zurück. Seit den 70er Jahren war Jahn im Visier der Stasi, erst in seiner Geburtsstadt Jena in Thüringen, nach seinem Rauswurf aus der DDR auch im Exil in West- Berlin. 26 Bände Stasi-Akten hat Gauck zum Fall Jahn gefunden.

Mehr als die Erfahrungen anderer mit dem DDR-Regime drängt Jahns Geschichte nach dem Grotesken: Am Sakralakt der DDR- Arbeiterbewegung, am 1. Mai, nahm Jahn in Jena 1982 geschminkt teil: das Gesicht links braun, rechts grün bemalt, auf der einen Seite Hitler-Tolle und Schnauzer, auf der anderen Stalin- Frisur und Hängeschnurrbart. So stellte er sich der Tribüne mit der Parteiprominenz zur Seite, so daß die Massen auch an ihm vorbeidefilierten. Nach jahrelanger Zugehörigkeit zur Friedensbewegung buchtete die DDR-Justiz ihn wegen „Mißachtung staatlicher Symbole“ ein. Und 1983 führte eine polnische Fahne zur Zwangsausbürgerung. Lech Walesas Solidarność im Sinn, hatte Jahn „Solidarität mit dem polnischen Volk“ darauf gepinselt.

Im Kreuzberger Exil wurde Jahn zu einem der wichtigsten Kontakte der DDR-Oppositionsbewegung: Er schleuste alles, von Büchern bis Videokameras, in den Osten, brachte Informationen, Flugblätter und versteckt gedrehte Dokumentarvideos in den Westen.

„Ich wehre mich immer, wenn jetzt gesagt wird, in der DDR war alles viel wärmer“, sagt Jahn, „in der DDR war's wie unter einer Käseglocke: Es war wärmer, aber es stank auch mehr.“ Weil auch im Jahr acht nach der Vereinigung die gesellschaftliche Landkarte in Ost und West zerfällt, stellt sich eine Frage neu, die sich die Ausgebürgerten in der Gewißheit des Exils nicht stellen mußten: Sind sie jemals angekommen – und wenn ja, in welchem Teil des ost-west-deutschen Gesamtgebildes?

Jahn ist nicht nach Jena zurückgekehrt, nicht mal vom Westberliner Kreuzberg in den Ostberliner Prenzlauer Berg gezogen. „Ich kann mit verteilten Rollen spielen, den Ostler oder den Westler raushängen lassen, je nach Bedarf.“ Angekommen sei er trotzdem. Kürzlich hat DDR-Regimegegner Jahn ein Schreiben erhalten, das ihn rehabilitiert und mit einigen hundert Mark entschädigt. Nicht für die Haft im Osten, sondern die im Westen. 30 Tage saß er 1985 im Westberliner Knast Moabit ein, wegen einer Sitzblockade gegen US-Atomraketen in Bitburg. „Mich da aufregen, wo ich gerade bin – das ist Ankommen.“ Patrick Schwarz