Grenzenloses Leben

Neue Worldwatch-Studie: Die Einschleppung von Tier- und Pflanzenarten in andere Länder stellt eine zunehmende Bedrohung der Artenvielfalt dar  ■ Aus Washington Peter Tautfest

Einer von Amerikas Nationalparks geht mitten durch die US-Hauptstadt Washington. Von Dämmen und Deichen unbehindert, fließt der Rock Creek durch den nach ihm benannten Park. „Das mag hier alles ganz natürlich und hübsch aussehen“, erklärt Chris Bright, Autor der neuen Studie des Worldwatch Institute, „Leben außer Rand und Band“ (Life Out Of Bounds). „Vieles aber, was hier grünt, ist artfremd.“

Damit ist vor allem das in den USA „Mile-a-minute“-Kraut genannte Polygonum Perfoliatum gemeint. „Man kann fast zusehen, wie es wächst und alles überwuchert“, klagt Bright. „Ich habe schon Bäume unter der Last dieser Schlingpflanze mit weithin vernehmbarem Krachen brechen hören.“ Die Naturschützer befürchten jetzt, daß sie nach Süden vordringt, wo sie anders als im Norden des Kontinents nicht einmal mehr im Winter abstirbt.

Das Vordringen fremder Arten ist nur selten ein so auffälliges Phänmomen. In den Südstaaten der USA gibt es zwar die allgegenwärtige und alles wie einen durchgehenden Teppich überwuchernde Kudzu-Pflanze, die mal als Erosionsschutz aus Japan eingeführt wurde. Meist aber sind eingedrungene Arten nicht ohne weiteres zu erkennen – bis es dann oft zu spät ist. Einige Jahrzehnte dauert es normalerweise, bis sie sich so weit ausbreiten, daß sie die heimische Flora und Fauna bedrohen.

Das Problem ist weltweit. In Europas Flüssen sterben die heimischen Krebse an einer aus Amerika eingeschleppten Krankheit. Im Mittelmeer hat eine pazifische Wasserpflanze weite Flächen des Meeresbodens in eine Art Kunstrasen verwandelt. Ein aus dem Nil in den Viktoriasee eingesetzter Fisch hat 200 Arten vernichtet, und jetzt erstickt eine eingeschleppte Wasserhyazinthenart die Ufer. Im Bosporus hat eine pazifische Qualle die Fischpopulation dezimiert und Verluste in der Fischereiindustrie in Höhe von umgerechnet 50 Millionen Mark verursacht.

Die Natur hat schon immer Arten auf Reisen geschickt. Nur so konnten Inseln wie Hawaii überhaupt von Pflanzen und Tieren besiedelt werden. Doch der natürliche Prozeß geht langsam vonstatten. Durch die Ausdehnung des Welthandels aber werden Arten in bisher unbekannten Mengen über solch unüberwindliche Grenzen wie Gebirge, Wüsten und Meere hinweg eingeschleppt.

Das gilt auch und besonders für die Weltmeere. Durch die Verklappung von Ballastwasser bei Tankern und Frachtschiffen zum Beispiel werden Schnecken, Algen und Fische in neue Biotope verfrachtet. „Bioinvasion ist eine Art raffinierter Umweltverschmutzung“, erklärt Chris Bright, „während ein Ölteppich letztlich passiv ist und mit der Zeit zerfällt, ist eine eingeschleppte Mikroben-, Algen- oder Schneckenart dynamisch.“

So sind auf Hawaii Schlangen aus Guam eingeschleppt worden, die jetzt Vögel und Vogeleier auffressen. Hawaiis Vögel hatten sich über Jahrmillionen ohne Feinde entwickelt und sind hilflos dem neuen Feind ausgesetzt, dessen Ausbreitung kein Raubtier Grenzen setzt.

Am Anfang aller Bioinvasion steht die Landwirtschaft. Ackerbau ist die planvolle Verbreitung von Getreidearten über die ganze Welt. Mit dem Getreideanbau verbreiten sich dabei auch deren Schädlinge. So entwickelten sich in den Tropen Baumkrankheiten erst auf Bananenplantagen, bevor sie den Regenwald befielen.

„Heute ist Lebensraumverlust zusammen mit dem Eindringen fremder Arten die größte Bedrohung der Artenvielfalt“, betont Chris Bright. Bei fast der Hälfte aller Arten auf der Roten Liste ist Bioinvasion der Grund für die Bedrohung. Das Problem, beklagt das Worldwatch Institute, sei noch kaum ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gelangt und könne nur durch internationale Kooperation und Regulierung des Welthandels gelöst werden.