Das Mandat birgt Zündstoff

■ Die alte Bundesregierung hat nach Beratungen mit der neuen der „activation oder“ zugestimmt, mit der die Einsatzhoheit für einen Militärschlag gegen Serbien an den Nato-Stab übergeht. Sollten später deutsche Soldaten beteiligt sein, stellt sich in Bonn die Frage nach der rechtlichen und die nach der politischen Grundlage einer Intervention.

Es klang wie ein Satz des Bedauerns, doch konnte man den Worten Joschka Fischers auch ein gerüttelt Maß an Erleichterung entnehmen. Er und Gerhard Schröder hätten „kaum einen Einfluß auf das aktuelle Geschehen“, erklärte der designierte Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, kurz nachdem beide zusammen mit US-Präsident Bill Clinton über das Geschehen im Kosovo beraten hatten. Schröder hatte diesen geringen Einfluß immerhin genutzt, Clinton die volle Unterstützung auch der künftigen Bundesregierung zu einem Nato- Einsatz im Kosovo zu versichern.

Die jetzige Bundesregierung hat gestern nach Beratung mit Fischer und Schröder der „activation order“, mit der die Einsatzhoheit an den Nato-Stab übergeht, zugestimmt. Diese Zustimmung hatte sie auch vom Einvernehmen mit der künftigen Regierung abhängig gemacht. Auch soll bereits am Freitag der Bundestag über eine Beteiligung deutscher Tornados an einem Kosovo-Einsatz entscheiden. Obwohl noch in alter Mehrheit besetzt, wird das Votum der künftigen Mehrheit das entscheidende sein. Auf diese den neuen politischen Verhältnissen angepaßte Verfahrensweise wird man sich verständigen. Eigentlich doch ganz schön viel Einfluß für eine rot-grüne Regierung, die noch gar nicht im Amt ist.

Fischers Understatement umreißt denn auch weniger den tatsächlichen Handlungsrahmen des künftigen Außenministers. Er sucht vielmehr zwischen Bündnisverpflichtung und Parteiloyalität einen Weg, dessen Ziel nicht nur ihm allenfalls schemenhaft erscheint und auf dem eine ganze Reihe Hindernisse zu bewältigen sind.

Auch bei der kommenden Regierung herrscht Unklarheit darüber, wie nach einem möglichen Militärschlag der Kosovo in eine befriedete Situation überführt werden kann. Diese wird durch Luftschläge alleine kaum herstellbar sein. Eine solche Situation würde, soviel ist anzunehmen, auf absehbare Zeit die Präsenz von ca. 30.000 Soldaten erfordern, wahrscheinlich auch Soldaten der Bundeswehr.

Neben den Risiken, die damit verbunden sind, stellt sich vor allem die Frage nach der rechtlichen und die nach der politischen Grundlage einer Militärintervention. Die noch amtierende Bundesregierung hat mehrfach, zuletzt am 30. September, betont, daß ein Einsatz auf „einer gesicherten Rechtsgrundlage“ erfolgt. Allerdings gingen bereits zwischen Außenminister Klaus Kinkel und Verteidigungsminister Volker Rühe die Meinungen auseinander, worin diese bestehe. Während Rühe davon ausging, daß eine rechtliche Grundlage gegeben sei, seit der UN-Sicherheitsrat einen Forderungskatalog an die Konfliktparteien formulierte und dabei Bezug auf Kapitel VII der UN- Charta nahm, erkannte Kinkel darin eben noch keine Basis für einen Militärschlag. Dazu sei vielmehr ein weiterer Beschluß des Sicherheitsrates über einen friedenserzwingenden Einsatz nach Kapitel VII erforderlich – der wegen des russischen Vetos nicht zustande kommt. Zum Ende ihrer gemeinsamen Regierungszeit hat sich Kinkel Rühe angenähert, ohne seine veränderte rechtliche Einschätzung darzulegen.

Eine ähnliche Differenz tut sich nun zwischen dem künftigen Außenminister und dem verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Günter Verheugen, auf. Während Verheugen ein militärisches Eingreifen auch ohne UN-Mandat für möglich erachtet, hatte Fischer vor seinem Besuch bei Clinton noch erklärt, die Grünen könnten sich „nicht vorstellen“, daß es eine solche Intervention gebe. Womöglich hat der Besuch bei Clinton Fischers Vorstellungskraft erhöht, denn gegen den gestrigen Kabinettsbeschluß hat er keine Stellung bezogen, obgleich kein UN-Mandat als Rechtsgrundlage vorliegt.

Die Frage der Legitimation ist außenpolitisch, etwa gegenüber Rußland, von entscheidender Bedeutung. Denn vor allem dort besteht die begründete Befürchtung, daß es sich bei dem Nato-Einsatz um einen Präzedenzfall handeln könnte.

Aber auch innenpolitisch enthält das Problem des Mandates Zündstoff. Die beiden künftigen Regierungsparteien haben eindeutige Beschlußlagen. So steht im SPD-Wahlprogramm, daß die Bundeswehr über die Landes- und Bündnisverteidigung hinaus „nur im Rahmen eines UNO- oder OSZE-Mandates für Friedensmissionen (..) eingesetzt werden kann“. Die Grünen lehnen gar friedenserzwingende Maßnahmen nach Kapitel VII generell ab. Den Bosnieneinsatz der Bundeswehr konnten sie nur für sich rechtfertigen, indem sie ihn zu einem friedenserhaltenden umdefinierten. Allerdings akzeptieren mittlerweile auch ehemalige Linke wie die verteidigungspolitische Sprecherin der Fraktion, Angelika Beer, Kampfeinsätze – wenn sie ein UN- Mandat haben.

Der Casus belli könnte eintreten, wenn der Bundestag am Freitag über die Entsendung von Bundeswehr-Tornados entscheidet. Als er den Bosnieneinsatz abstimmte, ging die Grünen-Fraktion noch nach Pro und Contra getrennt an die Urne. Ein Verhalten, das sie sich als Regierungsfraktion nicht mehr leisten kann.

Ein solches womöglich auch in der SPD-Fraktion gespaltenes Abstimmungsergebnis wäre nicht die einzige mißliche Lage, in die die neue Bundesregierung wegen des Kosovo-Konfliktes kommen könnte. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Beschluß vom Juni 1994 Out-of-area-Einsätzen der Bundeswehr zugestimmt, sofern sie durch einen Beschluß des Bundestages legitimiert sind. Seinerzeit tauchte allerdings eine gravierende Kontroverse zwischen den Richtern auf, an die sich nun wieder die ein oder andere klagefreudige Partei erinnern mag. Vier Richter, unter ihnen die jetzige Bundesverfassungsgerichtspräsidentin Jutta Limbach, waren seinerzeit bereits der Meinung, daß sich der Charakter der Nato aufgrund der Auslandseinsätze so stark geändert habe, daß die dem Verteidigungsbündnis zugrunde liegenden Gesetze einer erneuten Abstimmung bedürften.

Eine gleich große Zahl von Richtern war der Ansicht, daß die Vertragswandlungen nicht so weit gingen, daß de facto neue Verträge vorlägen, denen der Bundestag hätte zustimmen müssen. Damit war die Klage abgewiesen. Ein Einsatz der Nato ohne klare völkerrechtliche Legitimation könnte allerdings einer erneuten Klage Nahrung geben. Dieter Rulff