Proportionen der Macht

■ Stalin, Clinton und die öffentliche Meinung: Johannes Kalitzke hat eine „relativ schnelle“ Oper nach Bulgakovs „Molière“ komponiert

Als Michail Bulgakov 1932/33 den biographischen Roman „Molière oder die Henker der Komödianten“ schrieb, erkannten die sowjetischen Machthaber die Parallele des Verhältnisses von Molière zu Ludwig XIV. mit dem von Bulgakov und Stalin und verboten den Roman. Er ist nun das Sujet einer Oper von Johannes Kalitzke, die – als Auftragswerk des Bremer Theaters – am Donnerstag im Theater am Goetheplatz uraufgeführt wird. Der 1959 geborene Johannes Kalitzke, für den Kunst nicht l'Art pour l'Art sein darf und der noch stets durch gesellschaftskritisches Komponieren aufgefallen ist, erzählt der taz über die Entstehung des Werkes, das er im Untertitel „Ein dramatisches Nachtstück“ nennt.

taz: Wie kamen Sie zu dem Sujet? Sie haben ja einmal an anderer Stelle gesagt, es gehe Ihnen weniger um das Leben des Künstlers in der Diktatur als vielmehr um die Manipulierbarkeit der öffentlichen Meinung.

Johannes Kalitzke: Das ist ein Weg in Schritten. Am Anfang hatte ich Schwierigkeiten, weil der Roman doch sehr stark auf das Umfeld von Bulgakov bezogen war, wenn man ihn als ein Gleichnis für eine politische Situation betrachtet. Also entstand die Frage, was ist denn da drin, über das wir auch in unserer Situation, nachdenken müssen. Aus diesem Grund habe ich dann Gerold Theobald, einen Spezialisten für russische Literatur, gebeten, mir aus den Tagebüchern von Bulgakov ein zweites Libretto zu machen. Es entstand so eine Art Rahmenlibretto, in dem das Verhältnis Bulgakov-Stalin erstmal thematisiert wird, um gewissermaßen diese spiegelbildliche Problematik von Bulgakov und Stalin auf der einen Seite und Molière und Ludwig XIV. auf der anderen Seite, kompakt auf die Bühne zu stellen. Außerdem hatte ich dadurch die Möglichkeit, eine schauspielerische und eine musikalische Ebene ästhetisch zu verzahnen, was die Sache sehr viel farbiger macht. Die Substanz, die uns betrifft, ist die, daß in der höfischen und in der kommunistischen Diktatur natürlich eine Art der öffentlichen Meinung produziert wird, um ein gewisses Mehrheitsverhältnis als Begründung für Maßnahmen vorzuschieben. Wenn Sie sich jetzt zum Beispiel die Clintonaffäre anschauen, dann wird man sehr schnell feststellen, wie ein Machtapparat die öffentliche Meinung instrumentalisiert, um bestimmte Proportionen der Machtverhältnisse zu regulieren. Das heißt, es wird im Grunde genommen einiges, was auch bei uns Demokratie heißt, für ganz andere Sachen ge- oder mißbraucht. Das war so bei Ludwig XIV. und der katholischen Kirche, die ja Hand in Hand gearbeitet haben, der Fall, als auch bei Stalin und dem sogenannten Publikum des Künstlertheaters in Moskau. Da wurde ja gesagt, das Bulgakov-Stück über Molière muß verboten werden, weil das Publikum das nicht annehmen wird.

Wie ist denn aus diesen Textgedanken die Musik entstanden?

Also die Schauspielszenen werden im Sinne von Prolog, Epilog und Intermezzi zwischen die Opernszenen des Molièrestücks geschoben, teilweise allerdings auch simultan gespielt, also verschiedene Zeitebenen ineinander gesetzt. Aber im wesentlichen ist das Formalprinzip der Oper folgendes: Das Phänomen beider Stücke ist, daß der Künstler ja durch bestimmte Repressionen immer mehr eingeengt ist und eingekreist wird. Das ist wie ein Trichter, der immer enger wird. Und nach diesem Einkreisungs- und Verengungsprinzip ist das Stück eigentlich komponiert. Das heißt, es werden also musikalische Charaktere entwickelt und erstmal nebeneinandergestellt. Und dieses Material wird dann im Laufe der nächsten Akte immer so ineinander geschoben, als wenn man ein Teleskop zusammenschiebt. Und natürlich habe ich mir auch gesagt: „Stalin kann man doch nicht singen lassen ...“

Herr Kalitzke, zum Thema „Oper heute“. Auffällig ist dabei zweierlei: Einmal komponieren gerade innovative Komponisten auffällig viel und gern für die alte und anachronistische Gattung. Dann aber scheint das Opernpublikum sehr viel traditioneller als das Konzertpublikum zu sein, das ja auch schon Schwierigkeiten mit Neuer Musik hat. Ist das ein Problem für Sie?

Entscheidend ist schlichtweg nur, ob etwas aus sich selbst heraus für Spannung sorgt. Es muß einfach eine Stringenz geben, die ein Stück nach hinten zieht. In dem Moment, wo ich ein Stück habe, das nur aus Gedankengängen besteht und das szenisch nur mittelbar umsetzbar ist, gibt es natürlich Hänger, es gibt Leerlauf. Die Oper muß im Grunde genommen durch ihr eigenes Spannungsgefälle selbst dafür sorgen, daß der Zuhörer dran bleibt. Wenn er das nicht tut, ist es kein Problem der Oper, es ist ein kompositorisches Problem. Deshalb bin ich ganz froh, daß es sich in diesem Fall auch in weitestem Sinne um eine Handlungsoper dreht.

Gibt es Probleme für das Ensemble?

Das Stück ist machbar, das ganze Ensemble ist sehr gut. Es gibt natürlich eine rasche und andauernde Abfolge rhythmischer Schwierigkeiten. Das Stück ist relativ schnell. Der Dirigent hat eineinhalb Stunden nur Taktwechsel zu dirigieren. Das ist leider von der Methode her durch nichts anderes ersetzbar.

Die Singstimme hat in der Musik des zwanzigsten Jahrhunderts einiges durchmachen müssen. Wie ist sie bei Ihnen eingesetzt?

Sie bindet sich in den Instrumentalklang ein. Sie ist Teil einer Gesamtstruktur.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

Uraufführung, Donnerstag, 19.30 Uhr, Theater am Goetheplatz