Der Sprachenstreit: Berlin oder Babylon?

„Die ausländischen Kinder können kein Deutsch“, hallt es durch die westlichen Innenstadtbezirke. LehrerInnen und ErzieherInnen, SozialarbeiterInnen und PolitikerInnen ganz unterschiedlicher Coleur klagen über „babylonische Verhältnisse“, in denen keiner mehr den anderen versteht. Man registriert den Wegzug der Deutschen und befürchtet die Bildung türkischer und arabischer Ghettos. Deutsch lernen heißt das Gegengift.

Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) hat erste Konsequenzen gezogen. In den AWO-Kitas sollen auch die nichtdeutschen ErzieherInnen, von denen es hier überdurchschnittlich viele gibt, wieder vermehrt Deutsch mit den Kindern sprechen. Früher hätten die Kleinen von ihren Spielkameraden Deutsch gelernt, begründet AWO-Kita-Expertin Maria Lingens die Konzeptverschiebung. Heute sei dafür erstens der Anteil der deutschen Kinder in den AWO-Kitas zu gering, zweitens steige die Anzahl der unterschiedlichen Nationalitäten unter den Kids. „Die zweisprachige Erziehung reicht nicht mehr“, so Lingens, „jetzt brauchen wir gezielte Förderung, damit die Kinder richtig Deutsch lernen.“

Freilich weiß auch Lingens, wie wichtig es für das Erlernen einer zweiten Sprache ist, daß das Kind die Muttersprache richtig beherrscht. Diese Fähigkeit läßt bei deutschen und nichtdeutschen Kids nach, beklagen zunehmend ExpertInnen. „Aber wir bezweifeln inzwischen, daß die Kita das auch noch für andere Sprachen leisten kann“, sagt die AWO-Mitarbeiterin. Für den Erwerb der Muttersprache sei die Familie der richtige Ort, dabei müsse sie unterstützt werden. In der Kita aber müsse der bewußte Umgang mit der deutschen Sprache verstärkt werden.

Nurgün Karhan und Edith Giere, die seit langem gemeinsam die zweisprachigen Kitas des Vereins zur Förderung ausländischer und deutscher Kinder (VAK) leiten, halten das für einen falschen Schritt, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen sei die Muttersprache wichtig für die Identität und das Selbstwertgefühl der Kinder. „Wenn die Kinder sich nicht angenommen fühlen, dann entstehen doch genau Angst und Aggressionen“, weiß Giere. Zum zweiten drohe bei nicht ausgeprägter Erstsprache „die doppelte Halbsprachigkeit“.

Wie viele andere befürchten die VAK-Frauen, daß die aktuelle Debatte die gewachsenen Ansätze zur zweisprachigen Erziehung in die Ecke treibt. Auch Kreuzbergs grüne Jugendstadträtin Hannelore May, die die zweisprachige Erziehung stärken will, sieht hier eine neue, falsche „Kampflinie“. Und Diplompädagogin Petra Wagner, die das Schöneberger Modellprojekt wissenschaftlich begleitet, befürchtet die Zurichtung der Kitas auf „Deutsch-Lern-Dampfmaschinen“, die die Zweisprachigkeit als Chance ignorieren. sam