Gorki-Theater entschärft Tabubruch

■ Intendant Wilms sagt Premiere des umstrittenen Fassbinder-Stücks "Der Müll, die Stadt und der Tod" ab. Statt dessen soll eine israelische Schauspielschule das Stück als Gastspiel aufführen

Das Maxim-Gorki-Theater wird Fassbinders Skandalstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ nicht zeigen – zumindest nicht auf deutsch und nicht als eigene Produktion. Statt dessen hat Gorki-Intendant Bernd Wilms eine israelische Schauspielschule, das Studio Yoram Loewenstein aus Tel Aviv, zu einem Gastspiel in hebräischer Sprache eingeladen. Die jungen SchauspielerInnen hatten für kommenden März ohnehin eine Inszenierung des Stücks geplant.

Das Gorki-Theater hingegen hat seine eigene Premiere, eigentlich zum Spielzeitende im kommenden Sommer geplant, gestern abgesagt. Intendant Bernd Wilms sagte, es habe sich zuletzt immer deutlicher abgezeichnet, „daß sich die Ereignisse von Frankfurt wiederholen“, wo die Gegner des Stücks 1985 schließlich die Bühne besetzten und eine öffentliche Aufführung verhinderten. „Eine Premiere, die nicht stattfindet, hat jedoch keinen Sinn“, erklärte Wilms. Nachdem zahlreiche Gespräche in den vergangenen Wochen nicht zu einer Annäherung geführt hätten, sei dem Theater „an einer Machtprobe nicht gelegen“.

Als Wilms das Stück auf den Spielplan setzte, habe er mit einer solchen Zuspitzung nicht gerechnet. Die „Reflexe“ seien „eigentlich unverständlich“, weil es sich „um ein Stück über Antisemitismus, aber nicht um ein antisemitisches Stück“ handele. Das Argument, Fassbinders Stück sei einfach schlecht, hält Wilms für vorgeschoben. „Der Müll, die Stadt und der Tod“ sei zwar „kein zu Ende komponiertes Meisterwerk“, aber immerhin eine „spannende Großstadtballade“.

Das 1975 entstandene Stück war von Anfang an heftig umstritten und wurde bisher nur im Ausland aufgeführt. Darin tritt unter anderem die Figur eines „reichen Juden“ auf, der übel beschimpft wird. Fassbinder soll sie angeblich dem Frankfurter Immobilienmakler Ignatz Bubis nachempfunden haben, der heute Vorsitzender des Zentralrats der Juden ist. Neben dem Zentralrat und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin hatte sich auch der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) gegen die Aufführung am Gorki-Theater ausgesprochen.

Auch Kultursenator Peter Radunski (CDU) begrüßte gestern die Absage. Eine intensive Diskussion der Beteiligten und Betroffenen habe zu der „freien künstlerischen Entscheidung“ geführt. Intendant Wilms betonte, die Politiker hätten „keinen direkten Druck“ ausgeübt. Zugleich wies er aber den Vorwurf zurück, das Theater habe das Fassbinder- Stück nur deshalb auf den Spielplan gesetzt, weil es sich wieder ins Gespräch bringen wollte.

Jetzt setzt der Intendant auf die Wirkung des Gastspiels. Die Verständnisprobleme bei der Aufführung in hebräischer Sprache hält er für lösbar. „Wenn man das Stück gezeigt hat“, hofft Wilms, „dann ist vielleicht ein bißchen vom Tabu weg.“ Ralph Bollmann