Vom finalen Saurauslassen

■ „Die Nacht der Nächte“ versucht sich an einem neuen Genre: dem Abiturientenfilm (23 Uhr, ARD)

Abiturienten befinden sich am wahrscheinlich langweiligsten Punkt ihres Lebens. Endlich haben sie's geschafft, den Zitronensäurezyklus auswendig zu lernen, werden dafür mit einem finalen Zeugnis belohnt und glauben, deswegen in den Tagen darauf sehr viel Selbstwußtsein haben zu dürfen.

Mit dem Euphemismus „Potential“ wird das Dilemma schöngeredet, in dem die unreifen Individuen bis zum Halse stecken. Aber die besinnen sich derweilen lieber auf 13 Jahre Heimat, Klassengemeinschaft und Klassenkameraden und fahren abends im geschenkten Golf mit obligatorischem Klebebandkürzel in der Heckscheibe zur Abifete, wo sie noch mal so richtig die Sau rauslassen: abends, halb zehn in Deutschland. Und das ist es dann auch schon, das Thema des Auftaktfilms der diesjährigen „Wilde Herzen“-Reihe, die es sich – zumal in „Die Nacht der Nächte – School's Out“ – zur Aufgabe gemacht hat, auch die 14- bis 29jährigen in die erste Reihe zu locken, bzw. und mit anderen Worten: am „Puls der Zeit“ zu wummern.

Und wenn sich der selbst gerade mal 21jährige Musikvideoclip-Regisseur Achim Bornhak auch für „School's Out“ der mittlerweile altbewährten Musikkanal- und Werbefilmästhetik bedient, kann eigentlich, wenn man's nicht ganz blöd anstellt, in Sachen „Zeitgeist“ (und Quote) nicht viel schiefgehen. Requisiten, musikalische Untermalung und Schnittechnik sind jedenfalls äußerst unverkennbar „90er Jahre“ und gerade überzeichnet genug – die Mädchenbeine zu lang, die Jungengesichter zu schwitzig –, um zum Hingucker zu werden.

Zu sehen ist schließlich die Nacht der wahrscheinlich wildesten Abifete der Welt, die jedoch mit einem sintflutartigen, miniaturapokalytischen Rohrbruch im angemietete-Disko-Klo vorzeitig zum Interruptus kommt. Die reinigenden Fluten reißen juvenile Alkoholleichen, zerborstene Freundschaftsbande und Zukunftspläne mit sich. Doch kurz darauf geht die Party im Elternhaus des betrunkensten Abiturienten weiter. Und als endlich doch das Tageslicht anbricht und die umnebelte Atmosphäre einer durchfeierten Nacht und der 149. Zigarette uns fast ein bißchen zu plastisch vor Augen tritt, gibt's einen fulminanten Autocrash mit prima Effekten, knospt eine neue, alte Liebschaft, und die drei Hauptdarsteller Tex, Sven und David laufen „sichtlich angeschlagen der am Horizont aufgehenden Sonne entgegen“ (Pressetext), um dem Spielfilm den nötigen positiven Ausblick zu verleihen – schließlich wird während dieses 23-Uhr-Termins schon genügend unverhohlen gesoffen, gelallt, gepinkelt, gekifft, kopuliert und pädagogisch zweifelhafte Lebensansichtspropaganda verbreitet.

Dabei ist das Wandern in die Sonne bloß das hohle Nachbeben einer als Jungmännerinitiation getarnten Ahnungslosigkeit – ein bißchen Generation-X-sein-Wollen, ein bißchen zeitlos – morgens, halb sieben in Deutschland eben. Monie Schmalz