Play Brinkmann

■ Stefan Pucher inszeniert an der Berliner Volksbühne "Nachrichten aus der Zukunft". Improvisiert wird nicht, aber die Schauspieler können ihre eigenen Stimmen neu abmischen, und sowieso handelt es sich eigentlich um ein Konz

Die Volksbühne kündigt Stefan Puchers Theater natürlich als Ergebnis der „Techno- und Drum 'n' Bass-Revolution“ an: Darunter macht man's heuer nicht. Und tatsächlich steht bei Pucher immer DJ-Equipment auf der Bühne. Alles Disco? Alles Zukunft. Bevor Frank Castorf demnächst mit Tim Staffels „Terrordrom“ der Berliner Republik die Apokalypse macht, guckt Stefan Pucher zur Eröffnung der Spielzeit schon mal von vorne nach hinten: „Flashback. Nachrichten aus der Zukunft“ ist ein Rückblick auf die Gegenwart. Angelegt ist das Ganze als „cultural study“ – wie schon in den anderen Inszenierungen des 33jährigen Puchers: „Zombie. Horrortrip durch drei Jahrzehnte Kulturmasse“ (1995) und „Ganz nah dran“ (1996) im Frankfurter TAT zum Beispiel oder „Wie wir leben und warum“ (1996) auf dem Zürcher Theaterspektakel. Eigentlich hätte Alexa Hennig von Lange das Skript zu „Flashback“ schreiben sollen, aber die Autorin des Raver- Romans „Relax“ (1997) ist nun doch nicht mehr dabei. Statt dessen hat Pucher Texte von Rolf Dieter Brinkmann verarbeitet, zusammen mit ganz gegenwärtigen O-Tönen und Samples. Zum Beispiel von Ulrich Wickert. Alles Remix: heute ist Premiere.

taz: In deinen Stücken wird gesampelt, gescratcht, gepitcht: Warum machst du überhaupt Theater und legst nicht einfach im Club Platten auf?

Stefan Pucher: Ich finde es interessant, Sachen aus ihrem Kontext zu nehmen: Was kann man im Theater mit einer Platte machen, was im Club nicht gemacht wird? Als ich in Frankfurt „Ganz nah dran“ gemacht habe, habe ich einen DJ als Geschichtenerzähler benutzt. Ich habe Texte geschrieben, zusammengestellt und dann eine Schallplatte produziert, auf der Hans Paetsch, dieser Märchenerzähler, die Sachen vorliest. Der erzählt auf dieser Platte Partygeschichten von heute: (knarzt) „Ich gehe auf Partys, Partys auf dem Friedhof, Partys im End-of-the- World, Freitagabend-Partys...“

Gibt es in „Flashback“ auch einen DJ?

Ich arbeite mit einigen älteren Darstellern. Das sind meine DJs, und es gibt eine Platte, auf der unter anderem auch ihre Stimmen sind. Die Schauspieler können also mit ihren eigenen Stimmen scratchen und sie neu abmischen. Daneben gibt es live gespielte Musik, Kammermusik – von den jungen Schauspielern. Im Rückblick aus der Zukunft spielen sie die Oldies von heute, zum Beispiel Madonna: (singt) „This used to be my playground...“ „Flashback“ ist also eigentlich ein Konzert.

Wie verläuft bei dir die Probenarbeit?

Das ist natürlich eine andere Art von schauspielen. Was auch nicht einfach ist. Im Moment entsteht gerade so ein Prozeß, in dem die Schauspieler Angst bekommen, daß sie nicht schauspielern dürfen. Das verstehe ich, aber es ist nun mal eine fragmentarische Herangehensweise. Man muß erst einmal Aufnahmen machen, zum Beispiel. Das Stück entsteht erst gerade jetzt.

Also wird improvisiert?

Nö, überhaupt nicht. Null komma null. Sind ja Schauspieler. Sorry...

Und woher kommt der Text?

Das ist im wesentlichen ein Cut-up aus Texten von Rolf Dieter Brinkmann, in denen es um das Prinzip der Wiederholung geht: (raunt) „Die Regierungssprecher machen weiter, die Arbeiter machen weiter, die Rock'n'Roll-Sänger machen weiter...“ Mich interessiert Brinkmanns Methode: Text und Bild nebeneinanderstellen, collagieren. Brinkmann war auch der erste, der das Prinzip des Remixens in Literatur übersetzt hat: Seine Texte kamen ständig neu vor, in Variationen.

Welche Idee steht hinter „Flashback“?

Am Anfang habe ich mich gefragt: Kann man sich selbst in der Zukunft vorstellen? Wie geht man mit Zukunftsvorstellungen um? Welche Verantwortung übernimmt man für sich, für andere? Ich habe Aufnahmen mit Kindern gemacht und die gefragt, wie sie sich die Welt in zwanzig Jahren vorstellen. Die erste Antwort war: (quäkt) „Alles verseucht, es gibt nur noch Autos...“ Das sind ja so die Vorstellungen von Zukunft, die einem vermittelt werden. Und wenn ich die Kinder dann gefragt habe, wie sie sich ganz persönlich ihre Zukunft vorstellen, dann war das so: (quäkt) „Ich will 'ne schöne Frau, ich will 'nen schönes Haus mit 'nem Swimmingpool und 'nen Auto.“ Also genau gegenteilig.

Dein Kollege Christoph Schlingensief glaubt ja, daß es bald fliegende Autos gibt. Was ist denn dein Zukunftsbild?

Ach, ich weiß nicht. Das ist zu langweilig.

Wenn du Kinder danach fragst, fragt man dich natürlich auch.

Ich glaube, ich bin gerade dabei, mich von der Vorstellung zu befreien, daß es immer schlimmer wird. (Pause.) Okay: In zehn Jahren gibt es keine fliegenden Autos. Aber ich glaube, es wird irgendwann fliegende Autos geben. Allein weil sie in „Das fünfte Element“ gezeigt werden, science goes fiction anyway.

Welche Rolle spielen Märchen für deine Arbeit?

Märchen haben viel mit Medien zu tun, mit diesem entrückten, medialen Blick. Zum Beispiel wünscht man sich vielleicht, daß die „Tagesschau“-Sprecherin direkt zu einem spricht – im Märchen geht das. Mich interessiert an Märchen auch, daß sie mit ganz konkreten Sachen umgehen. Die Poesie entsteht durch Bilder, nicht durch gekünstelte Sprache.

In letzter Zeit entscheiden sich die Theatermacher hier gerne zwischen „Geschichten erzählen“ und „dekonstruieren“. Märchen als der dritte Weg?

Ja, vielleicht. Okay, ich sage natürlich gerne, daß ich Geschichten erzähle. Aber ich habe es bisher noch nicht geschafft. Ich erzähle viele kleine Geschichten, bin ja weggegangen von der Idee, daß am Anfang ein Text für Sinnstiftung sorgt. Statt dessen unternehme ich Erkundungen in der Gegenwart, „cultural studies“ – und vielleicht entsteht daraus dann ein Stück. Das Risiko, daß es schiefgeht, gehe ich ein. Interview: Kolja Mensing