■ Die SPD-Politikerinnen sind unfähig, nach der Macht zu greifen
: Jetzt oder nie

Seit gut zwei Wochen hört man die SPD-Frauen wieder klagen, sie würden bei der Vergabe von Spitzenämtern nicht angemessen berücksichtigt. Kaum gehe es in Bonn um die Verteilung der Macht, so der Vorwurf, drängelten sich erneut die Männer um die einflußreichen Posten. Alles schön und gut. Doch seit Montag abend ist mit dem SPD-Fraktionsvorsitz unversehens eine Stelle in der allerersten Reihe freigeworden. Sie ist wie kaum eine andere geeignet, die Wünsche der Frauen zu erfüllen – allein, die Frauen kneifen. Keine von ihnen traut sich anzutreten.

Nun kämpfen SPD-Politikerinnen schon seit langem unter der Parole „Schiebt uns nicht in die Nischen ab“. Sie haben die Attraktivität von Posten nicht zuletzt daran gemessen, wie begehrt diese bei den männlichen Konkurrenten sind. Bereits unter diesem Gesichtspunkt müßte der Fraktionsvorsitz die Frauen locken: Immerhin hatten sich vor zwei Tagen noch Ex-Parteichef Scharping, Parteichef Lafontaine und SPD-Shootingstar Müntefering um den Sessel gestritten. Wenn dort jetzt eine Frau Platz nehmen würde, hätte das weit mehr als nur Symbolwert. Der Vorsitzende der Regierungsfraktion ist der Stellwerksleiter im Rangierbahnhof der Bonner Politik. Hier werden für die Reformvorhaben die Weichen gestellt, Gleise freigegeben oder Stoppsignale gesetzt.

Daß keiner der drei Platzhirsche bei der Besetzung zum Zuge kam, begünstigt die Frauen auch taktisch: Noch nie sahen sich die Sozialdemokratinnen bei einem derart herausgehobenen Posten einem derart schwachen Konkurrenten gegenüber wie diesmal. Der Favorit der Fraktionsspitze, der farblose parlamentarische Geschäftsführer Peter Struck, ist eine Verlegenheitslösung. Wenn die SPD-Frauen zu Struck keine Alternative bieten können, werden sie niemals Alternativen zu bieten haben.

Nie war die Gelegenheit für die SPDlerinnen günstiger, ihre Forderung nach mehr Teilhabe an der Macht umzusetzen – und nie zeigte sich ihre Scheu davor deutlicher. Anke Fuchs hat abgewunken, Herta Däubler-Gmelin spekuliert lieber auf das relativ unbedeutende Justizministerium, und auch Ingrid Matthäus-Meier will den Sprung nicht wagen. Was auch immer die Gründe einiger Politikerinnen im einzelnen sein mögen, politisch erklären die SPD-Frauen damit ihre Unfähigkeit, nach der Macht zu greifen, wenn die Stunde gekommen ist. Sie scheitern an sich selbst, nicht an der Übermacht der Männer. So wird also alles beim alten bleiben. Ein Mann wird neuer Fraktionsvorsitzender werden. Und die Frauen werden klagen, sie kämen in Bonn nicht zum Zuge. Patrik Schwarz