Wirrwarr an Bündnissen

Nigerias politische Elite versucht, sich für die von Militärherrscher Abubakar versprochenen freien Wahlen in Startposition zu bringen  ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) – Der Zeitplan ist knapp. Anfang Juni übernahm Abdulsalam Abubakar in Nigeria die Macht als Militärdiktator nach dem plötzlichen Tod seines Vorgängers Sani Abacha. Am 29. Mai 1999 will er die Macht an einen gewählten Präsidenten abgeben und 15 Jahre Militärherrschaft beenden. Die Präsidentschaftswahl ist für den 27. Februar angesetzt. Zwar hat sich das politische Klima in Nigeria bereits deutlich entspannt – aber Abubakars Demokratisierungspläne stehen auf dem Prüfstand. Erst wenn die unabhängige Wahlkommission am 19. Oktober verkündet, welche der mehreren Dutzend Anträge auf Parteiengründung sie akzeptiert, wird man wissen, wie pluralistisch Nigerias Parteienlandschaft aussieht.

Sehr bunt wird sie vermutlich nicht. Die Wahlkommission hat zur Registrierung von Parteien hohe Hürden aufgestellt, um der Bildung regionalistischer Gruppen entgegenzuwirken. Die Kommission behält sich sogar vor, nach den Kommunalwahlen im Dezember Parteien wieder zu disqualifizieren, wenn sie nicht in 24 der 36 Bundesstaaten die Zehnprozenthürde überwinden. Zudem gibt es keine staatliche Parteienfinanzierung, so daß nur die reiche Elite reelle Erfolgschancen hat.

Dies zwingt Nigerias Politiker dazu, sich vorab zusammenzuschließen, weshalb der Prozeß der Parteienbildung in ein unüberschaubares Geflecht von Zweckbündnissen ausgeartet ist. Es ist gut möglich, daß am Schluß nur zwei richtige Parteien übrigbleiben, so wie bei den letzten Wahlen in Nigeria – den später vom Militär annullierten Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni 1993. Damals gewann der Yoruba-Millionär Moshood Abiola, der vor drei Monaten im Gefängnis starb. Das Zweiparteiensystem gilt in Nigeria als Mittel, die traditionelle politische Dreiteilung des Landes zwischen der traditionellen muslimischen Hausa- Fulani-Elite im Norden, dem die Demokratiebewegung dominierenden Yoruba-Volk im Südwesten und dem von einem früheren Sezessionsversuch geschwächten Igbo-Volk im Südosten zu überwinden.

Die zwei großen Parteien, die sich heute am Horizont abzeichnen, sind die APP (All People's Party – Partei des gesamten Volkes) und die PDP (People's Democratic Party – Demokratische Volkspartei). Zu den führenden Mitgliedern der APP gehören Bashir Tofa, Abiolas Gegenkandidat 1993, sowie Arthur Nzeribe, damals Präsident der „Vereinigung für ein besseres Nigeria“. Dessen Klage vor dem Verfassungsgericht machte die Annullierung der Wahl möglich. Die APP wird daher weithin als Sammelbecken von Apologeten der Militärherrschaft gesehen. Kurz vor ihrer formellen Gründung Anfang September als Koalition zogen die zunächst an ihr beteiligten Yoruba-Führer genau aus diesem Grund unter großen Getöse aus der APP aus. Kein Wunder, daß die APP sich seitdem nach Igbo-Unterstützung umsieht, während die Yoruba-Politiker sich der anderen großen Partei zuwenden – der PDP.

Die PDP ging aus der „Gruppe von 34“ hervor, ein in den letzen Monaten der Abacha-Herrschaft gebildeter Verein nordnigerianischer Würdenträger, der sich gegen Abachas Pläne zum Machterhalt wandte. Sie hat versprochen, einen Mann aus dem Süden als Präsidentschaftskandidat aufzustellen, und bemüht sich derzeit um Olusegun Obasanjo. Er hat nicht nur den Vorteil, Ex-Militär und Yoruba gleichzeitig zu sein, sondern war auch 1979 der einzige nigerianische Militärherrscher, der die Macht freiwillig wieder abgab.

Prominente Yoruba-Oppositionelle sind derzeit noch skeptisch. Einige von ihnen haben die Allianz für Demokratie (AD) gegründet, die sich als Nachfolgerin der Demokratiebewegung begreift. Sie wissen aber auch, daß Obasanjo recht hat, als er kürzlich sagte: „Die Yorubas können nicht alleine einen Yoruba zum Führer Nigerias machen.“

Zugleich fürchtet Nigerias Demokratiebewegung in all diesen Überlegungen schon die halbe Kapitulation. Nigeria würde, so denken manche Aktivisten, unter einem gewählten Präsidenten dieselben Probleme haben wie jetzt, wenn grundlegende Forderungen der Demokratiebewegung wie eine Dezentralisierung Nigerias und eine Föderalisierung der Armee unter den Tisch fallen – und Obasanjo hat sich schon dagegen ausgesprochen. Manche radikalen Gruppen erteilen den geplanten Wahlen bereits eine Absage. Die Meinung von Wortführern wie Wole Soyinka wird mitentscheiden, ob dieser Trend sich verstärkt oder ob ein wenig Demokratie, mit allen Unvollkommenheiten, in Nigeria Wurzeln schlagen kann.