Rebellin bis in die Haarwurzeln

■ Wie die große Asta Nielsen den Frauen Rebellionsträume unters Kopfkissen legte – das B-Movie huldigt der Aktrice

Ihr Gesicht war groß genug für jede Leinwand. Die kühnen Züge, die riesengroßen schwarzen Augen, der scharf gezeichnete Mund und ihre androgyne Sinnlichkeit machten Asta Nielsen zum ersten Star der deutschen Leinwand. Mit der Aktrice, der das B-Movie zur Zeit eine kleine Filmreihe widmet, wuchs der Film vom Ein- zum Mehrakter, erprobten die Lichtspielhäuser erstmalig den abendfüllenden Spielfilm. Schon ihr Haarschnitt bedeutete eine größere Rebellion in der Geschichte der Frauen als manche politische Errungenschaft. Und nicht selten sollen sich Frauen nach einem Kinobesuch die Haarnadeln wilhelminischer Steckfrisuren herausgezogen und sich der komplizierten Lockenpracht samt familialer Reproduktionspflichten mit einem Schnitt entledigt haben.

Asta Nielsens Filme, bei denen die gebürtige Dänin von der Plotentwicklung bis zum Endschnitt Einfluß nahm, erzählten aus der Welt der Prostituierten und Kokotten und von der Sexualität jenseits der bürgerlichen Ehe. Geschichten, in denen ungestraft Sitte und Gesetz verletzt wurden und in denen sich sadistische Gatten oder blutsaugende Liebhaber kurzerhand aus der Welt stechen ließen. Eine Ungeheuerlichkeit, wenn man bedenkt, daß Frauen sich um 1900 noch hüten mußten, ohne Begleitung am Abend auf die Straße zu gehen. Nielsen legte ihnen, die die zunehmend industrielle Arbeitswelt bald aus der Küche zum Fließband umsiedeln sollte, ernstzunehmende Revolutionsträume unters Kopfkissen. Und der deutschen Filmindustrie galt sie schnell als Garantin für volle Kassen. Auch ein Grund, warum ihr Goebbels später eine eigene Filmproduktion anbot – die Nielsen ohne Knicks und Umschweife ablehnte.

In den Frauengestalten Ibsens exerzierte sie den Zusammenbruch der bürgerlichen Ordnung, entwarf in Strindbergs Ehedramen die familiale Hölle. „Senkt die Fahnen vor ihr, denn sie ist unvergleichlich und unerreicht“, jubelte der Filmkritiker und –theoretiker Béla Balázs über die Nielsen, die allein das Kunststück fertigbringe, zwei Masken übereinander aufzulegen: „Sie kann uns vorlügen, daß sie lügt.“

Ob als renitentes pubertierendes Engelein (1913), eine Komödie, die wegen Textpassagen wie „Keine trockenen Onkelküsse! Soll ich dir zeigen, was Leidenschaft ist?“ auf den Index kam, ob als alternde Hure in Dirnentragödie (1927), ob als Mörderin in Die freudlose Gasse – Asta Nielsens Credo war stets das Trotzdem eines kompromißlosen Herzenswegs. Da konnte am Ende tausend mal das Martyrium drohen. Und wenn sie in Die Sünden unserer Väter (1912) ein Malermodell mimt, das in einer Verzweiflungsgeste das fertige Abbild mit langem Messer zerstört, ist das zugleich ein ungeheuer selbstbewußtes Attentat auf den Film als männliche Wunschbildmaschine. Wohl auch deswegen übernahm die 86jährige 1968, vier Jahre vor ihrem Tod, die Regie über die Dokumentation Asta Nielsen lieber gleich selbst. Nachdem bereits eine Verfilmung ihres Lebens aus fremder Perspektive in ihren Augen gründlich gescheitert war.

Birgit Glombitza

Die freudlose Gasse: Do, 15.; Sa, 17.; So, 18. Oktober, jeweils 20.30 Uhr. Dirnentragödie: Do, 22.; Sa, 24.; So, 25. Oktober, jeweils 20.30 Uhr. Asta Nielsen: Do, 29.; Sa, 31. Oktober; So, 1. November, jeweils 20.30 Uhr