Manische Maschinen

Skizzen einer hochtechnologisierten Gesellschaft: Das 3001 zeigt Mangas: „Roujin Z“ und „Ghost In The Shell“  ■ Von Tobias Nagl

In Japan wird bekanntlich mehr Papier für die Herstellung von Mangas als für die von Klopapier verwendet. Unüberschaubar ist die Produktion der telefonbuchdicken, meist schwarzweißen Comics, genauso wie ihre bildnerische Vorstellungswelt, die sich seit den ungleich humanistischeren Zeiten von Tezukas Astroboy wie kaum eine andere dem Dialog von West und Ost in den Nachwehen des Zweiten Weltkriegs und nuklearen Fallouts verdankt.

In Japan wird viel und gerne gelesen und noch mehr geschaut, und was sich in den Manga-Automaten und Comic-Cafés aneinanderreiht, reicht von fickenden Elfchen in verträumten Parklandschaften bis zum schillernden mecha-Design futuristischer Roboterkriege in fernen Galaxien. Romantische Fantasien von Hausfrauen finden sich da neben quietschenden Schulmädchen mit Kulleraugen, genauso wie einsame Cyborg-Krieger in detailverliebten Blade-Runner-Szenarien neben geradezu manisch-obsessiv abgepinselten Porno-Posen. Fluchtlinien aus einem reglementierten Arbeitsalltag tun sich da auf, wenn nicht gar wahre Paradiesgärtchen visueller Imagination.

Kaum ein westliches Auge wird jedoch sagen können, ob das Bild, das wir uns von der grafischen Literatur Nippons machen, auch nur annähernd der Wirklichkeit entspricht, zu groß ist schlicht der Output an Mangas, von dem nur ein Teil den hiesigen Print- oder – im Falle der Animes, ihrer verfilmten großen Brüder – Videomarkt erreicht. Einige Programmkinos in den japanischen Großstädten widmen sich 365 Tage im Jahr allein den Animes. Und während man aus Hollywood ständig Klagen vernimmt, das Geschäft mit dem Animationsfilm lohne sich nicht mehr oder berge unkalkulierbare finanzielle Risiken, die sich allenfalls durch strategische Marketinggags – im Falle von Antz etwa Synchronsprecher vom Schlage eines Woody Allen oder einer Sharon Stone – abfedern ließen, boomt der japanische Zeichentrickfilm ohnegleichen. Spätestens seit Akira auch im Westen.

In Japan wird aber nicht nur mehr, sondern auch schneller gelesen – haben zumindest Industriepsychologen festgestellt. Und nicht erst seit den Untersuchungen Benjamins zur Auswirkung des urbanen Passantenverkehrs auf die choc-förmige Wahrnehmungsstruktur des Großstädters oder Studien zur Beziehung zwischen Eisenbahnreise und Lektüreverhalten besitzt dieses Argument große Plausibilität.

Wenn Comics von Anfang an ein Medium des technischen Zeitalters waren, trifft dies für die Mangas erst recht zu. Anders als die Natur-idyllen Walt Disneys sind die Mangas durch und durch urbane Skizzen einer hochtechnologisierten Gesellschaft, in der sich die Kapital- und Informationszirkulation überschlägt. Wenn in Mangas alles Individuelle vergleichbar blaß bleibt, kann man sich sicher sein, daß die städtischen Horizonte minutiös ausgemalt sind, sich jeder Sony- oder Coca-Cola-Schriftzug deutlicher abhebt als der Schrecken in den hölzernen Gesichtern der Mensch-Maschinen-Hybriden. Wer sich schon als Kind zu Zeiten von Heidi oder Captain Future genau deshalb von diesen gelangweilt abgewendet hat, wird feststellen, daß es gerade die Durchdringung des Mediums durch das Technise ist, was seine Faszinationskraft ausmacht. So verheißen die Mangas und Animes eine geradezu kinetische Bewe-gungsenergie. Jeder Pinselstrich gleicht eher einer ins Räumliche gewendeten Vektorenlinie als der abbildhafteren Statik amerikanischer Strips, während die Panels in alle Richtungen zu bersten scheinen – und kaum ein anderes Comic-Genre ist von kinematografischem Einstellungswahn und Montage-Techniken so besessen wie der Manga. Nicht zuletzt das macht seine Übersetzung auf die Leinwand so interessant.

Davon kann man sich jetzt im 3001 überzeugen. Mit Mamoru Oshiis kultigem Ghost In The Shell (1995) und Hiroyuki Kitakubos Rojin Z. (1991) nach einem Drehbuch des Akira-Schöpfers Katsuhiro Otomo werden zwei der schönsten Animes aus ihrem freudlosen Videothekendasein erlöst. Beide variieren in einer ihr Thema kongenial umsetzenden Bildsprache die Auseinandersetzung zwischen Mensch und Maschine am Ende des Jahrtausends.

Im humorvoll-humanistischen Rojin Z. wird ein pflegebedürftiges Altchen zu Versuchszwecken in ein High-Tech-Bett gezwängt und gegen alle Widerstände der Erfinder und Militärs von hackenden Rentnern entführt und ans Meer navigiert. Stimmungsvoller geht es in Ghost In The Shell zur Sache, in dem sich Mitglieder einer Cyborg-Spezialeinheit auf die Jagd nach dem virtuellen „Puppetmaster“ begeben und das bekommen, womit auch ganz gewöhnliche biologische Einheiten zu kämpfen haben: Identitätsprobleme.

Roujin Z: Do, 15. bis Sa, 17., 18 Uhr. Ghost In The Shell: So, 18. bis Mi, 21., 18 Uhr, 3001