: Belagerung der Ex-Treuhand am Alexanderplatz
■ Ostdeutsche Metallarbeiter protestieren für Übernahme ihres Betriebes durch West-Investor
Gestern morgen rückten 300 Beschäftigte der Landtechnik Schönebeck (LTS, bei Magdeburg) der Treuhand-Nachfolgerin BvS am Alexanderplatz auf die Pelle. Die Demonstranten machten mit Trillerpfeifen und Rauchbomben auf sich aufmerksam und klapperten mit Mülleimer-Deckeln: „Die BvS baut nur Mist – zurück damit!“ Den Haupteingang des Bürogebäudes hatte eine Voraus-Brigade zuvor mit einem Transparent verhängt: „Traktorenwerker aus Schönebeck kämpfen um ihre Arbeitsplätze!“ Daneben parkten stolz ihre Produkte: Feldhecksler, Allrad-Trac kommunale Mehrzweckfahrzeuge.
Die westdeutsche Landtechnik- Konkurrenz Claas hat Interesse an einer Übernahme der LTS, die nach wie vor den Ostmarkt beackert – gerade wurden 16 Feldhecksler in den Irak geliefert. Vor genau einem Jahr hatten die Traktorenwerker schon einmal mit einer „Mahnwache“ vor der BvS protestiert. Damals wollte das westdeutsche Unternehmen Liebherr ihren Betrieb übernehmen, aber die BvS ließ ihn abblitzen. Den Protestierenden vor der Tür versprach „ihr“ Privatisierungsmanager Schwegmann, das Liebherr- Konzept noch einmal zu prüfen, aber am Ende wurde nichts daraus. Ähnliches befürchten die Schönebecker jetzt erneut: „Die BvS tut nur so, als würde sie ernsthaft verhandeln, in Wirklichkeit will sie uns abwickeln.“ Ihr IG-Metall-Bevollmächtigter Detlev Kiel spricht von einem „Sauhaufen“. Er hofft aber, daß sich jetzt mit der rotgrünen Koalition in Bonn einiges in der BvS ändern wird: „Schröder hat schließlich nicht den Abbau, sondern den Aufbau Ost zur Chefsache erklärt. Gestern war, zum ersten Mal nach neun Jahren, Finanzminister Waigel in der BvS – und hat Bundesverdienstkreuze verteilt: Ach, es ist zum ...“
Diesmal wollen die Schönebecker so lange ausharren, bis sie ein „konkretes Ergebnis“ der Verhandlungen zwischen der Firma Claas und der BvS mit nach Hause nehmen können: „Notfalls bleiben wir bis Weihnachten.“ Für die nächsten Wochen oder gar Monate hat die IG Metall ihnen Nachtquartiere besorgt, außerdem haben sie ein geräumiges Wohnmobil als Infozentrum dabei, sowie Campingmöbel, Handys und jede Menge Regenschirme. Ihre Feuertonne brennt schon die ganze Nacht. Sie wird von verfrorenen Journalisten umlagert.
Auch die Presseleute sind nicht gut auf die BvS zu sprechen: Die Treuhand-Nachfolgerin hat nur noch eine Pressesprecherin und die muß sich erst einmal kundig machen. Gegen Mittag begibt sie sich mutig in die wütende Menge: beschwichtigt, vertröstet und steckt schweigend Beleidigungen weg. „Es ist wieder wie früher“, meint ein Pressefotograf aus Hamburg zynisch. Etwas hat sich aber doch geändert: „Jetzt sind es konkret die Banken, die den Betrieben den Todesstoß versetzen und damit die Arbeitsplatzpolitik der neuen Regierung abbremsen. Außerdem stellt sich jetzt den Gewerkschaften das Problem anders: Sollen sie Druck auf Rot-Grün ausüben und in allen von Abwicklung bedrohten Betrieben mobilisieren, oder tendieren sie eher dazu, Schröder den Rücken freizuhalten?“, gibt der ehemalige Antitreuhandkämpfer und PDS-Bundestagsabgeordnete, Peter Hartmann, zu bedenken. Helmut Höge
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