Kulturtransfer in der Hood

Weil er als Schauspieler nicht länger den „Türken vom Dienst“ mimen wollte, begann Fatih Akin Filme zu machen. Mit „Kurz und schmerzlos“ gibt er sein Spielfilmdebut. Über Jungsfreundschaften in Hamburg-Altona und Herkunftsfragen in der Nachbarschaft  ■ Von Christian Buß

Ein Nachbarschaftsfilm. Jede Einstellung in Fatih Akins „Kurz und schmerzlos“ ruft: Das ist meins! Das ist die Videothek, in der ich mir Pacino-Filme besorge! Das ist die dreckige Gleisunterführung, die ich schon so oft so traurig durchquert habe! Das ist die Fußgängerzone, die ich nachts mit meinen Freunden unsicher mache! Jede Einstellung ruft: Das bin ich! Was natürlich nicht so recht nachvollziehbar ist für Menschen, die glauben, daß ein Hamburger Künstler türkischer Herkunft irgendwie ein Identitätsproblem haben müßte. Das aber streitet Fatih Akin, in Hamburg-Altona aufgewachsener und in Hamburg-Altona filmender Regisseur, vehement für sich ab. Für die Helden seines ersten Spielfilms selbstverständlich auch. Die haben zwar eine Menge Probleme, wie alle jungen Typen, die nicht so recht wissen, ob es sich lohnt, erwachsen zu werden. Aber diese Probleme haben nicht vornehmlich etwas mit ihrer Herkunft zu tun. Was natürlich auch nicht heißen soll, daß die Herkunft keine Rolle spielt: Wenn Akin seine drei freundlichen Kleinkriminellen in einer jeweils typischen Situation einfährt und kurz das Bild einfriert, werden Lettern auf die Leinwand geschmissen, die nicht nur Name, sondern gleich auch die Herkunft festmachen: Costa ist Grieche und klaut gerade ein Autoradio, Bobby ist Serbe und wird soeben aus dem Spielsalon seines Onkels rausgeschmissen, Gabriel ist Türke und kommt aus dem Knast.

Ein Initiationsfilm. Es ist kein Zufall, daß die eigentliche Handlung von „Kurz und schmerzlos“ auf einer Hochzeit beginnt. Die von Fatih Akin unverblümt herbeizitierten italoamerikanischen Regisseure haben vorgemacht, daß sich solche Feiern wunderbar als erzählerische Kristallisationspunkte nutzen lassen. Auf der einen Seite stehen die Frischvermählten, die symbolschwer in einen neuen Lebensabschnitt geleitet werden, auf der anderen jene Figuren, die sich mit Händen und Füßen dagegen wehren. Während das Hochzeitspaar von den Gästen nach türkischem Brauch mit Geldscheinen behängt wird, kommt es zum Wiedersehen zwischen den so lange getrennten Freunden. An eine eigene Hochzeit ist bei denen nicht zu denken: Costa erscheint mal wieder unrasiert und ohne Anzug, Bobby träumt von einer Karriere als Mafioso, Gabriel legt sich gleich wieder mit seinem Vater an, weil er mit den anderen einen Abstecher auf den Autostrich macht.

Ein Film über die Freundschaft. Der Film ist eine echte Ensemblearbeit, weshalb es auch eine erfreuliche Entscheidung gewesen ist, daß die drei Hauptdarsteller Mehmet Kurtulus, Aleksandar Jovanović und Adam Bousdoukos unlängst auf dem Festival in Locarno gemeinsam ausgezeichnet worden sind. In ihren Rollen als Gabriel, Bobby und Costa sitzen sie wie begossene Pudel am Elbstrand, starren stoned in den Fernseher, wo gerade ein Bruce-Lee-Film läuft und schlagen Fensterscheiben ein. Was man eben so macht, wenn die Freundin weg ist und das Leben nervt. Klar, „Kurz und schmerzlos“ ist ein Jungsfilm. Die am Anfang als starke Persönlichkeiten etablierten Frauen stehen später, wenn es ans Eingemachte geht, irgend wie nur noch im Weg rum. Das muß wohl so sein in einem Film, in dem sich die männlichen Figuren mit einer kaum zu überbietenden Zärtlichkeit begegnen. Die schieben sich gegenseitig tröstend Zigaretten in den Mund, schlafen in den Armen des anderen vor der Glotze ein und geben sich die ganze Zeit Küßchen.

Am besten ist „Kurz und schmerzlos“, wenn seine Helden sich wortlos verständigen oder in wuchtigen Wortkaskaden um den heißen Brei herumreden und dabei doch alles sagen. Am schlechtesten ist „Kurz und schmerzlos“, wenn die Helden sich selbst erklären. Der blödeste Satz kommt von Gabriel, als der zum schußwaffenvernarrten Aushilfsgangster Costa sagt: „Ich seh' 'ne nackte Frau neben mir, also fick' ich sie. Ich hab'n Döner in der Hand, also ess' ich ihn. Und wenn ich 'ne Wumme hab', benutz' ich sie. Verstanden? Ja, Alter, voll kapiert den Scheiß.“

„Kurz und schmerzlos“ ist ein sehr guter Freundschaftsfilm, ein sehr guter Initiationsfilm, ein sehr guter Nachbarschaftsfilm. Aber leider nur zum Teil. Denn irgendwann kippt der Freundschaftsfilm in ein Rühr- und der Initiationsfilm in ein Lehrstück, und was so wunderbar beiläufig als Film über die Hood Altona begonnen hat, ist auf einmal ein Gangstermelodram, das ein bißchen übergroß schlackert wie die fetten Goldketten um Bobbys Hals. Akins Film beeindruckt, wo er die Topographien und Biographien, aus denen sich „Kurz und schmerzlos“ zusammensetzt, kenntnisreich umsetzt. Aber wenn er sie verläßt, gerät sein Werk parallel zum Leben der Helden aus den Fugen. Warum etwa gegen Ende ein Waffendeal nach allen Regeln eines abgehangenen Vorabendkrimis in einer stillgelegten Fabrikhalle stattfinden muß, leuchtet nicht ein. Meistens aber bewegt sich Fatih Akin auf sicherem Terrain. In seiner Hood eben. Ganz beiläufig bedienen sich seine Helden verschiedener Codes, ohne sie dabei zu Taumelnden zwischen den Kulturen zu degradieren. Ohne ihnen Secondhand- Identitäten aufzudrücken. Ethiken und Ästhetiken werden aus allen möglichen Quellen geschöpft: Aus Filmen mit Pacino, Platten vom Wu Tang Clan und unter anderem aus der eigenen ethnischen Zugehörigkeit. Fatih Akin hält es locker mit dem Kulturtransfer, und trotzdem verblüfft es, mit welcher Präzision er die Elemente einer bestimmten Community in eine andere überführt. Eins zu eins baut er in seiner Nachbarschaft Altona New Yorks Little Italy nach, wie er es in Martin Scorseses „Who's That Knocking At My Door“ oder „Mean Streets“ gesehen hat.

Doch Fatih Akin bedient sich nicht nur frank und frei aus Scorseses Fundus, er nimmt auch dessen Gebot ernst, die eine oder andere technische Konvention über den Haufen zu schmeißen, um seinen strauchelnden Jungs ganz nahe zu sein. Der 25jährige hat in seinem ersten Langfilm schon ein ganz eigenes Idiom entwickelt: Wie Scorsese seine Figuren in erhabener Zeitlupe durchs Bild schreiten ließ, um deren temporäre Souveränität anzudeuten, so spult Akin schon mal ganze Sequenzen schneller und digital verzerrt ab, um die Angespanntheit der Charaktere zu zeigen. Zum ersten Mal erfüllt sich hier, was im US-Genre- Kino schon seit Jahrzehnten existiert: Die andere Ethnie ist Selbstverständlichkeit geworden. Die Figuren sind sehr wohl Exponenten einer über die Herkunft definierten Community, aber sie lassen sich nicht allein über die Konditionierung durch ethnische Zugehörigkeit knacken. Bis jetzt hatten Migranten und deren Kinder ja nur eine Chance, in deutschen Kinoproduktionen vorzukommen: als Problem. Oder als infame Umkehrung dieser Zuschreibung, als Comic Relief.

Es ist kein uninteressanter Aspekt, daß „Kurz und schmerzlos“ in Altona spielt, wo ein erheblicher Teil der örtlichen Filmposse sitzt. Eine Reihe von Projekten wurde hier auf den Weg gebracht, die das Thema Migranten eher in Form von Objektstudien behandelten. Manchmal sehr ambitioniert, oft aber gerade in ihrer Ambitioniertheit perfide. Ließ sich Tevfik Basers „40 qm Deutschland“ (1985), der vom Dasein einer in der Wohnung verschlossenen türkischen Ehefrau erzählt, noch als Drama einer doppelten Isolation diskutieren, so kam „Yasemin“ (1987) nur noch als sozialdemokratischer Edelkitsch daher. Regisseur Hark Bohm, oberster Schulmeister des Hamburger Kinoklüngels, belehrte darin sein Publikum, was für eine fremde und nicht besonders fortschrittliche Kultur das doch sei, die türkische. Yksel Yavuz' ebenfalls an der Elbe produzierter „Aprilkinder“, der Ende September Premiere feierte, geht da schon weiter. Er erzählt von der Orientierungslosigkeit junger türkischer Migranten der zweiten Generation. Sehr lakonisch tut er das, aber letztendlich bleiben auch seine Figuren Fallstudien einer kulturellen Zerrissenheit.

Fatih Akin macht bei sowas nicht mit. Der frischgebackene Regie-Star, der eigene Filme eigentlich nur deshalb zu drehen begann, weil er als Schauspieler den immer gleichen Türken vom Dienst mimen mußte, wischt mit großer Geste alle Problematisierungsanliegen beiseite. Dabei ist er immer sehr unterhaltsam, manchmal jedoch geht er zu lapidar mit der Verantwortung seinem eigenen Werk gegenüber um. Tatsächlich löst es Befremden aus, wenn man hört, daß die Hauptrolle in seinem nächsten Film ausgerechnet vom unvermeidlichen Moritz Bleibtreu gespielt wird, der unlängst in „Knocking On Heavens Door“ einen radebrechenden türkischen Killer gegeben hat. Ob Fatih Akin also seine eigene Sprache gegen die Mechanismen und Zwänge des Entertainmentbetriebs durchsetzen kann, darum darf man sich ernsthaft Sorgen machen. Erst mal jedoch gibt es mit „Kurz und schmerzlos“ etwas zu bestaunen, was es so in deutschen Kino noch nicht gab: einen Heimatfilm aus Hamburg-Altona.

„Kurz und schmerzlos“. Regie Fatih Akin. Mit Mehmet Kurtulus, Aleksander Jovanović, Adam Bousdoukos u.a. 100 Minuten