■ Mit maroden Haushalten auf du und du
: Provinzen in der Krise

Yokohama (taz) – Die nächste Zeitbombe in der japanischen Schuldenkrise tickt bereits. Zwar fährt etwa in Yokohama die U-Bahn noch pünktlich auf die Sekunde, die Marmorfliesen im Bahnhof sind gebohnert und die Straßen davor gewaschen. Doch wer denkt, über die Millionenstadt Yokohama herrsche eine effiziente Verwaltung mit viel Geld, der täuscht sich.

Hiroshi Okazaki, der Gouverneur der Präfektur Kanagawa, zu der Yokohama gehört, blickt auf den Budgetplan der Präfektur und sagt mit besorgter Miene: „Wenn sich die Wirtschaftslage nicht schnell verbessert, dann gehen wir bankrott.“ Die Rezession trifft Japans öffentlichen Haushalte auf lokaler Ebene mit Wucht. In diesem Fiskaljahr rechnet Okasaki mit einem Defizit von etwa 840 Millionen Mark. Verantwortlich dafür sind rezessionsbedingte Steuerausfälle von nahezu 12 Prozent. „Unsere Finanzlage ist so schlimm, daß wir unter Umständen schon im nächsten Jahr bei der Zentralregierung Konkurs anmelden müssen“, warnt Okasaki.

Warnungen wie aus Yokohama treffen inzwischen aus allen 47 Präfekturen Japans ein. Zwei Prozent des japanischen BIP beträgt die Verschuldung der Lokalregierungen und ist damit doppelt so hoch wie in anderen Industriestaaten. Gemessen am lokalen BSP ist die Lage in den beiden größten japanischen Städten Tokio (81 Prozent) und Osaka (66 Prozent) noch schlimmer aus als in der Präfektur Kanagawa (47 Prozent), die mit Yokohama und Kawasaki ebenfalls zwei Millionenstädte beherbergt. Für Naohiko Jinno, Experte für öffentliche Finanzen an der Tokio Universität, ist das, „als ob Paris, London, Frankfurt und Berlin im vereinten Europa zugleich bankrott anmelden würden“.

In Yokohama stehen viele nützliche und überflüssige Bauten, die in der Hochkonjunkturzeit Ende der achtziger Jahre projektiert wurden. Yokohamas Stadtregierung verweist noch stolz auf das größte Fußballstadion Japans, fünf High- Tech-Parks, ein großes Schwimmstadion und zwei Kongreßzentren mit Ausstellungshallen. Nun, da die Wirtschaft stockt und mit öffentlichen Aufträgen die Konjunktur angekurbelt werden müßte, gähnen in den Kassen auf der Provinzebene riesige Löcher.

Das ist höchst gefährlich für die Gesamtwirtschaft Japans. Denn seit Jahrzehnten haben die Provinzen im Auftrag der Zentralregierung öffentliche Aufträge ausgeführt und rund ein Drittel davon selbst finanziert. In den neunziger Jahren, als Tokio der Welt Stimulierungspakete in der Höhe von über 600 Milliarden Mark zur Belebung der Konjunktur vorstellte, mußten die Provinzen wieder als Lokomotiven herhalten. Nun hat die Regierung weitere Stimulierungsmaßnahmen in der Höhe von 215 Milliarden Mark angekündigt. Doch diesmal werden die Präfekturen kaum mitziehen.

„Wir haben keine Angst, nein zu sagen, wenn Tokio wieder irgendeinen unnötigen Hafen oder Tunnel zum Bau verordnet“, kündigte Daijiro Hashimoto, der Gouverneur der Präfektur Kochi in Zentraljapan an, wo die Verschuldung 99 Prozent des lokalen BSP beträgt. Technisch sei Kochi schon seit drei Jahren bankrott, sagt ein hoher Beamter in der Präfekturregierung. André Kunz