Scharping hält am Verteidigungsetat fest

Der designierte Verteidigungsminister Rudolf Scharping will den Etat für die Truppe nicht antasten lassen. Grüne und SPD beraten über Kompromiß zum Personalabbau. Ist die Strukturkommission der Ausweg?  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Man werde sich selbstverständlich gegenüber jeder Regierung loyal verhalten, versichert ein Offizier der Hardthöhe im Gespräch. Weiter habe er das Wahlergebnis nicht zu kommentieren. Zögernd räumt er dann allerdings ein, daß der Machtwechsel nicht überall auf Jubel gestoßen ist. Wo doch die Grünen die Bundeswehr am liebsten abschaffen wollten. Offiziellen Äußerungen der zuständigen SPD-Spitzenpolitiker zufolge hat der Mann keinen Grund zur Sorge. Der designierte SPD-Verteidigungsminister Rudolf Scharping will sein Amt nur übernehmen, wenn sein Etat nicht gekürzt wird. Der dürfe auch bei angespannter Finanzlage nicht zum Steinbruch werden. Gestern sattelte Scharping sogar noch drauf: „Im Kern“ sei die Armee „eigentlich eher unterfinanziert“.

Als „frei erfunden“ bezeichnete der bisherige SPD-Fraktionschef einen Bericht der Tageszeitung Die Welt, wonach es in der SPD konkrete Pläne gebe, die Bundeswehr von 340.000 auf rund 200.000 Soldaten zu verkleinern und den Grundwehrdienst auf sechs, vielleicht sogar auf nur drei Monate zu verkürzen. „Diese Meldung entbehrt jeder Grundlage,“ erklärte auch der SPD-Wehrexperte Walter Kolbow.

Derlei Stellungnahmen scheinen auf den ersten Blick die ohnehin großen programmatischen Unterschiede, die zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen bestehen, noch weiter zu zementieren. Immerhin waren die Grünen im Wahlkampf für so weitreichende strukturelle Veränderungen wie die Abschaffung der Wehrpflicht, die Halbierung der Personalstärke der Bundeswehr und eine erhebliche Reduzierung des Wehretats eingetreten. Gestern haben sich Günter Verheugen (SPD) und Ludger Volmer von den Grünen zusammengesetzt, um über eine mögliche Kompromißlinie zu beraten. Fachleute beider Seiten zeigen sich derzeit optimistisch, daß eine Einigung möglich ist. Das Zauberwort: Wehrstrukturkommission.

Eine solche Kommission wird seit langem sowohl von den Grünen als auch von der SPD gefordert. Parlamentarier sollen gemeinsam mit Berufssoldaten und Vertretern gesellschaftlich relevanter Gruppen Empfehlungen für eine Modernisierung der Armee sowie eine neue Definition ihrer Aufgaben angesichts der veränderten Weltlage erarbeiten. „Die gesamte Planung der Bundeswehr gehört auf den Reformprüfstand,“ heißt es dazu in einem SPD-Papier.

Die Arbeit der Kommission muß nach Einschätzung aller Beteiligten ergebnisoffen sein. Entsprechend groß sind Erwartungen, die sich daran knüpfen. Die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, fordert eine grundsätzliche Überprüfung von Struktur und Umfang der Bundeswehr. Außerdem müsse dem Bereich der inneren Führung und der politischen Bildung besonderes Augenmerk geschenkt werden. „Wir brauchen eine Analyse und Neudefinition des europäischen Sicherheitsbegriffs“, sagte sie gegenüber der taz. Sie halte am Ziel einer Abschaffung der Wehrpflicht fest. Außerdem müßten sämtliche Verträge auf Verbindlichkeiten und mögliche Lücken überprüft werden. Das beziehe sich auch auf den Eurofighter.

Derart umfangreiche Aufgaben lassen sich nicht an einem Tag erledigen. Die Arbeit der Kommission wird nach Einschätzung von Experten mindestens ein Jahr in Anspruch nehmen. Die mögliche Verwirklichung ihrer Vorschläge dürfte sich sogar über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren erstrecken. Konflikte zwischen den Koalitionspartnern ließen sich damit zeitlich entzerren und in verschiedene Einzelfragen gliedern, die ohne allzu großen öffentlichen Erwartungsdruck jeweils im Detail erörtert werden können. Und selbst bei aktuell anstehenden Fragen kommt es jeweils auf die Lesart an. Wenn Scharping auf der Höhe seines Etats bestehe, sei damit noch nichts über dessen Verwendung gesagt, hieß es gestern aus Kreisen von Bündnis 90/Die Grünen. Auch die Schließung von Standorten koste Geld.