Stell dir vor, es gibt einen Posten und keine will ihn

Zunächst waren es die bündnisgrünen Politikerinnen, die auf die Frauenquote pochten, nachdem sie die Männer im Rennen um die Regierungsposten an sich vorbeiziehen sahen. Nun hat die Frauenfrage auch die SPD eingeholt. Warum es den Bonner Politikerinnen einfach nicht gelingen will, Spitzenämter in der Bundespolitik zu ergattern  ■ Aus Bonn Constanze v. Bullion

Es geht zu wie im Krämerladen. „Was willste? Vorsitzende im Umweltausschuß werden oder Staatssekretärin?“ Monika Griefahn nickt erfreut. Die Jobs, die heute im Angebot sind, klingen einigermaßen vielversprechend. Schade nur, daß die Ex-Umweltministerin aus Niedersachsen hier nicht an Kanzlers Tresen steht und sich ein hübsches Pöstchen auswählt, sondern vor Ulla Schmidt. Die frauenpolitische SPD-Sprecherin hat am Dienstag abend Genossinnen und bündnisgrüne Frauen in die schleswig-holsteinische Landesvertretung geladen, seither trommelt sie in Bonn für eine „frauenpolitische Offensive“. Ein bißchen spät. Denn während die Damen noch Regierungskaufladen spielen, haben die Herren sich längst bedient.

Für Johannes Rau darf's das Amt des Bundespräsidenten sein. Wolfgang Thierse bestellt sich das Stühlchen des Bundestagspräsidenten. Auch die wichtigsten Ministersessel sind so gut wie ausverkauft – an Männer, versteht sich. Auf die verbliebenen Restposten werden nun die Frauen losgelassen. Herta Däubler-Gmelin soll sich mit der grünen Renate Künast ums Justizministerium zanken. SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier und die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Anke Fuchs wurden von den Partei-Oberen gebeten, als Fraktionschefinnen auszuhelfen, nachdem sie Rudolf Scharping weggemobbt hatten. Doch die Damen winkten ab. Der Job, erklärte Anke Fuchs ungerührt, „paßt nicht in meine Lebensplanung“.

Ewig jammern die Frauen über zuwenig Einfluß, aber sobald sich endlich eine Chance bietet, sagen sie ab. Wofür werden die 207 weiblichen Abgeordneten des neuen Bundestages eigentlich bezahlt, fragen jetzt besorgt die Herren der Schöpfung, wenn die Umsetzung ihrer Vorstellungen, der Zugriff auf die Schalthebel der Politik, nicht in ihre höchstpersönliche Lebensplanung paßt? Frauen scheuen die Verantwortung, heißt es, sie haben Angst vor der Macht. Zugleich gönnen sie diese aber auch Männern nicht.

Daß ein Prestigeposten einer Politikerin nur dann echte Entscheidungsgewalt sichert, wenn sie auch die nötige Hausmacht hinter sich hat, geht im Trubel der Pöstchendebatte unter. Welche Abgeordnete gibt schon gern zu, daß sie sich berufliche Anerkennung bei den eigenen Parteikollegen ständig neu erkämpfen muß. Und daß auch die Reihen der Frauen keineswegs fest geschlossen sind.

„Schwarz geärgert“ hat sich etwa Andrea Nahles über die Absage von Anke Fuchs. Mit dicker Aktenmappe unterm Arm und nicht eben bester Stimmung rauscht die Juso-Chefin am Dienstag nachmittag ins Bonner Wasserwerk zur SPD-Fraktionssitzung. „Anke Fuchs hat einen Traumjob, und der Fraktionsvorsitz ist ein Alptraum, der bringt achtzehn Stunden Arbeit am Tag“, meint Nahles. „Sie wollte nicht über das Stöckchen springen, das man ihr hingehalten hat, und das kann man verstehen.“ Daß Fuchs den Ruf anderer SPD-Frauen nach mindestens fünf Ministerposten als „überflüssig und schädlich“ bezeichnet hat, sei allerdings „sehr ärgerlich“.

Schlechte Stimmung unter den SPD-Frauen, doch richtig Zoff zu machen traut sich bislang noch keine. Bloß nicht den fragilen Koalitionsfrieden stören, scheint die Devise der Genossinnen im Strickschick, die sich zwischen die Anzugträger im Plenarsaal drängeln. Daß der Fraktionsvorstand zuvor für den Ostmann Wolfgang Thierse und gegen Ostfrau Christel Hanewinckel als Bundestagspräsidentin gestimmt hat, bedauern die angereisten Ostlerinnen offenbar am wenigsten. „Der Wolfgang hat's verdient, ich bin nicht unglücklich über die Entscheidung“, erzählt Christine Leder aus dem thüringischen Saalfeld. „Die Frauen werden im Kabinett sicher gut vertreten sein“, besänftigt auch die designierte Frauenministerin Sabine Bergmann die Parteikolleginnen.

Auf Frauenquoten pochen hier vor allem diejenigen, die ihr Schäfchen noch nicht ins trockene gebracht haben. Oder solche, die nichts zu verlieren glauben, wenn sie sich aus dem Fenster lehnen. Antje Steen etwa ist Behindertenbeauftragte der SPD und ziemlich sicher, daß ihr den Job niemand wegnehmen wird. „Die Entscheidung für Thierse war in der Parteispitze abgekartet, das ist unerträglich“, schimpft sie, „es ist nun Aufgabe der Frauen, das rückgängig zu machen.“ Für Dienstag hat die SPD eine Kampfabstimmung um die Bundestagspräsidentschaft angesetzt, Vielleicht-Justizministerin Däubler-Gmelin gibt sich siegessicher. „Wetten, daß die Frauen immer mehr Ämter kriegen“, ruft sie – und spendiert als Einsatz beim Postenlotto gerade mal eine Tafel Schokolade.

Sehr, sehr tapfer klingen auch die Parolen der künftigen Koalitionspartnerinnen, die sich abends in der schleswig-holsteinischen Landesvertretung zuprosten. „Wir wollen uns nicht auf politische Hausarbeit beschränken“, verkündet die grüne Fraktionssprecherin Kerstin Müller, „wenn es um die Macht geht, sind die Ellenbogen der Männer besonders spitz.“ Partei- und lagerübergreifend müßten die Frauen nun überlegen, was „gemeinsam anzustellen“ sei. Abseits vom Mikrofon steht dann eine eher nachdenkliche Kerstin Müller. „Wir sind zu spät in die Puschen gekommen“, meint sie, „Männer verständigen sich in ihren Hierarchien schneller. Im übrigen demontieren Frauen auch gern noch die Kolleginnen, die vorne stehen.“

Politikerinnen haben nicht nur Probleme, sich in der erste Reihe zu plazieren, sondern auch, andere Frauen in der ersten Reihe zu ertragen, bestätigt Antje Vollmer. Als grüne Fraktionssprecherin habe sie am eigenen Leib erfahren, „wie grausam“ die Kolleginnen untereinander sein können. „Frauen in Spitzenpositionen sind immer allein“, weiß sie, „die haben nicht gelernt, sich ihre Hintermänner zu organisieren.“ Kein Leben sei das, „mit diesen dauernden Anfeindungen, mit ständiger Medienpräsenz, und immer muß man druckreif reden“. Die erste Reihe, das sei „unheimlich hart“.

Am Nebentisch grübelt die Bündnisgrüne Annelie Buntenbach mit Monika Knoche, der gesundheitspolitischen Sprecherin der Partei, warum die grünen Frauen keine „Lichtgestalt“ wie einen Joschka Fischer aufgebaut haben. „Auf zwanzig Männer in der Fraktion kommen 27 Frauen“, sagt Buntenbach, „die haben sich auf der fachlichen Ebene qualifiziert und trauen sich viel zu. Aber das Knochengerüst der Macht sind immer die Männer geblieben.“ Dieses Gefüge nicht anzugreifen, weiß Knoche, „hat den Frauen viele Partizipationsmöglichkeiten gebracht“. Im Klartext: Frauen, die nicht gegen Männermacht aufmucken, werden mit Pöstchen belohnt.

Nichts als Selbstzweifel also? Zurück an den Herd oder bescheiden die Lider gesenkt, wenn aus der Möchtegernministerin nur eine Staatssekretärin oder eine Ausschußvorsitzende wird? Alles Quatsch, sagt SPD-Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier. Sie gehört zur wachsenden Fraktion in der SPD, die laut darüber nachdenkt, ob die Frauen für den verlorengegangenen Thierse-Posten nicht anderweitig Ersatz finden könnten. Johannes Rau aus dem anvisierten Amt des Bundespräsidenten zu kegeln, werde sicher „sehr kompliziert“, gibt die SPD- Veteranin zu bedenken. Genossin Griefahn, die ehemalige SPD-Ministerin, ist pietätloser. „Statt rumzujammern, sollte man Rau zum Verzicht bewegen. Der hat sein Lebenswerk doch vollbracht. Und dann käme eine Frau dran.“

Für diesen Posten wüßte frau auch schon eine geeignete Kandidatin. Jutta Limbach würde das erste Amt im Staat sofort übernehmen wollen, heißt es. Nur fragen darf sie keiner. Wenn die derzeitige Verfassungsgerichtspräsidentin sich zu früh meldet, hat sie ihre Chancen verspielt. Kommt sie zu spät, sitzt sicher schon ein Mann auf dem Posten. Nicht unbedingt einer, der besser taugt. Aber sicher einer, der weniger Skrupel hatte. Und im Bonner Krämerladen schneller zugefaßt hat.