Analyse
: Gipfel der Skepsis

■ Nahost-Gipfel: Nur Clintons großes Erfolgsbedürfnis verspricht Fortschritt

Der Mord an einem Juden, der ein religiöses Bad im Süden Jerusalems nahm, dient Israels Ministerpräsident Netanjahu als Argument, die Erfolgsaussichten des heute beginnenden Nahost-Gipfels in Wye Plantation in Maryland dramatisch zu reduzieren. Nur wenn die Palästinensische Autonomiebehörde den Terror „wirklich“ bekämpfe, könne ein Interimsabkommen über den zweiten Teilrückzug erzielt werden, erklärte Netanjahu. Die Autonomiebehörde müsse neun Punkte erfüllen, um den Erfolg zu garantieren. Dazu zählen die Reduzierung der palästinensischen Polizeikräfte um ein Drittel, die Beschlagnahme illegaler Waffen, die Überstellung palästinensischer Attentäter an Israel, die Änderung der PLO-Charta und der Verzicht auf die Proklamation eines palästinensischen Staates am Ende der Interimsperiode 1999. Diese Punkte sind für Netanjahu nicht verhandelbar.

Was auf den ersten Blick als legitime Sicherheitsforderung erscheint, erweist sich als Vorwand, um eine Schuld am Scheitern des Gipfels der anderen Seite in die Schuhe schieben zu können. Als vor zwei Wochen ein israelischer Siedler einen palästinensischen Jugendlichen – nach Zeugenaussagen mutwillig und ohne Provokation – erschoß, fand Netanjahu kein Wort des Bedauerns. Der Beschuldigte durfte die jüdischen Feiertage sogar mit seiner Familie in einem Hotel und nicht, wie vom Staatsanwalt gefordert, im Gefängnis verbringen. Die Familie eines Palästinensers dagegen, der im ultraorthodoxen Viertel Mea Shearim in Jerusalem erstochen wurde, wird trotz gegenteiliger gesetzlicher Bestimmungen nicht entschädigt. Zweierlei Maß, sonst nichts.

Die Positionen sind klar: Die USA und die Palästinenser werden alles Vertretbare tun, um den Gipfel zum Erfolg zu führen. Und die Israelis werden alles Erdenkliche erfinden, um dies zu verhindern. Doch der Druck auf Jerusalem ist nicht zu unterschätzen. Israel wird zum Paria, wenn der Friedensprozeß wegen kleinlicher, nicht nachvollziehbarer Sicherheitsbedenken platzt. Das wird nicht nur politische, sondern auch wirtschaftliche Konsequenzen haben. Ausländische Investitionen in Israel, die seit 1993 um drei Milliarden Dollar gestiegen sind, sinken längst wieder. Ein Mißerfolg des Gipfels könnte eine Kapitalflucht auslösen.

Die politischen Konsequenzen wären dagegen vergleichsweise gering. Es bliebe alles beim Alten. Die Autonomiebehörde könnte nur abwarten. Hamas dürfte die Gelegenheit nutzen, mit Anschlägen ihre Operationsfähigkeit zu beweisen. Eine allmähliche Eskalation der Gewalt wäre die Folge. Die Chancen auf Erfolg stehen derzeit bestenfalls 50 zu 50, selbst wenn man unterstellt, daß Clinton nichts dringender braucht als außenpolitisches Prestige. Vielleicht könnte dies letztlich die Waage noch zum Guten neigen. Georg Baltissen