Legende mit Eigensinn

■ Der Polit-Punk Jello Biafra agitierte im Bremer Schlachthof

Seit der letzten Dead-Kennedys-Europa-Tour war Jello Biafra nicht mehr auf deutschen Bühnen zu sehen. Und das ist mindestens 15 Jahre her. Damals gab es sogar noch das Land, mit dem er heute noch ganz gern die Verhältnisse in seiner Heimat USA vergleicht, nämlich die Sowjetunion.

Am Mittwoch kam Jello Biafra nach Bremen, um über ähnliche Unerfreulichkeiten zu berichten. Fast vier Stunden redete der Mann zu einem Publikum, das, wie er selbst weiß, in der Hauptsache wegen seiner persönlichen Historie zu den Shows kommt. Biafra war schließlich nicht nur der Sänger der Kennedys. Er hat darüberhinaus auch immer wieder von sich reden gemacht, indem er Platten mit No Means No oder D.O.A. aufnahm und sich oft vehement für das bürgerliche Grundrecht der freien Rede einsetzte. Außerdem betreibt er seit ein paar Jahren das Platten-Label Alternative Tentacles, auf dem er schon den Song „Copkiller“ von Bodycount veröffentlichte, nachdem dieser von der amerikanischen Album-Version entfernt worden war. Jello Biafra versteht sich zweifelsfrei als politischer Mensch.

Daß Biafra wirklich ein Anliegen hat, wurde spätestens gegen Ende seiner Performance deutlich. Er glaubt an die Effizienz derlei Agitation. Immer wieder kämen Leute, erzählte er mir vor seiner Lesung, die ihm erzählten, wie es ihr Leben verändert habe, die Dead Kennedys zu sehen, auch wenn natürlich niemand losgegangen sei und eine Bank angezündet hätte, aber sie hätten immerhin versucht, einen anderen Weg zu gehen, als von ihnen erwartet wurde.

Es ist nicht sein Zweck, Menschen zu unterhalten, jedenfalls nicht nur, wenn er die Geschichte von Mumia Abu-Jamal erzählt, vor dem neuen Wirtschaftsabkommen MAI warnt, oder feststellt, daß sich Propaganda hier und heute von Propaganda dort und damals gar nicht so großartig unterscheidet. Ein paar Leute monierten zu Recht, daß Biafra nicht unbedingt Neuigkeiten erzähle. Aber angesichts des Schlusses, auf den Biafra seine Lesung hinauslaufen ließ, wäre das auch nicht zwingend gewesen.

„Wacht auf und riecht den Krach“, war einer der wiederkehrenden Kernsätze seines letzten Textes, ein anderer lautete: „There's no way this can last!“ Ja, sogar das böse Wort vom Klassenkampf kam ihm über die Lippen.

Ganz unzweifelhaft schälte sich aus seinen Worten der Wille zur Veränderung. Nun ist Herr Biafra kein Anhänger klassischer revolutionärer Theorien. Er fordert eigentlich nur das ein, was in jeder freiheitlichen Verfassung steht, will also gewissermaßen ersteinmal nicht viel mehr, als einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz. Und erreicht werden soll der natürlich ohne Gewalt. Nachdem er kleine Formen der praktischen Subversion aufgezählt hatte („Widerstand kann Spaß machen!“), suchte er schließlich noch eine größere Perspektive. Vorbild einer größer angelegten Aktion ist ihm unter anderem die „samtene Revolution“ in der Tschechoslowakei, ausgerechnet also ein Umsturz, der den von Biafra in seinen Verlaufsformen doch mißbilligten Kapitalismus in einem Land einführte, das über vierzig Jahre ohne ihn ausgekommen war.

Rhetorisch versiert, mit einer Flut von Informationen und dem ihm eigenen Sarkasmus (ja, witzig war er auch) sorgte er über die volle Distanz für die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer. Daß er deshalb auch gleich mit seinen Schlußfolgerungen erfolgreich war, dürfen wir indes bezweifeln.

Denn die leidige Sprachbarriere in Allianz mit dem Ikonen-Status und dem Tempo des Vortragenden ließen die Inhalte noch ein wenig in den Hintergrund rücken. Andererseits versetzt ihn dieser Status ja überhaupt erst in die Lage, so vielen Menschen erzählen zu können, was ihm auf dem Herzen liegt. So tat er, was er kann. Und das war beeindruckend. Andreas Schnell