Im Dienst der Leidenden

■ Dieses Jahr wäre er 90 geworden: Der Publizist Heinz Liepman

Heinz Liepman, am 27. August 1905 in Osnabrück geboren, ist ein heute fast vergessener und/oder verdrängter Schriftsteller und Journalist. Auch in Hamburg, wo er Kindheit und Jugend verbrachte, seit Mitte der 20er Jahre zuerst als Dramaturg, später als freier Schriftsteller arbeitete, ist er heute den wenigsten bekannt.

Schon vor 1933 hatte er die drei Romane Nächte eines alten Kindes, Der Frieden brach aus sowie Die Hilflosen veröffentlicht. Für den letztgenannten erhielt er 1930 den „Harper-Preis“ des gleichnamigen New Yorker Verlages. Dieser Preis sowie die Übersetzungen seiner Bücher ins Englische und Französische verliehen ihm internationales Renommee.

Die Aufführung seines Theaterstückes Columbus im Februar 1932 im Deutschen Schauspielhaus Hamburg führte erstmals zu offenen antisemitischen Angriffen. Im nationalsozialistischen Hamburger Tageblatt hieß es: „Liepman ist wohl zweifellos Jude. Das Vorhandensein des Revolutionären und der Mangel an aufbaufähigen Gedanken (...) verraten es zu deutlich. (...) Immerhin müssen Deutschland und die Welt sich erfahrungsgemäß davor hüten, sich ihre Probleme von Juden lösen zu lassen.“

Liepman, der schon 1930 mehrfach Artikel in der Weltbühne veröffentlichte, nahm solche Attacken zum Anlaß, im sozialdemokratischen Hamburger Echo vor dem Erstarken der Nationalsozialisten und ihrer Kulturlosigkeit zu warnen: „Deutschland war einst als das Volk der Dichter und Denker berühmt, heute könnte man es beinahe als das Volk der Richter und Henker bezeichnen, wenn all die Drohungen nationalsozialistischer Koryphäen ausgeführt werden könnten. Der Begriff des ,Köpferollens' war früher im politischen Leben einer reifen Nation unbekannt, gleichfalls die romantischen Gruselphantasien wie ,die Nacht der langen Messer' usw.“

Solche politischen Stellungnahmen machten Heinz Liepman zum Haßobjekt der Nationalsozialisten. Nach der Machtübergabe war er wie viele andere Schriftsteller zur Flucht gezwungen. In Paris schrieb er seinen ersten antifaschistischen Roman Das Vaterland. Ein Tatsachenroman aus dem heutigen Deutschland, gewidmet „den ge-marterten und ermordeten deutschen Juden“. Im September 1933, wohlgemerkt! Wegen dieses Buches, das über den wahren Charakter des Nationalsozialismus aufklärte, wurde Liepman im Frühjahr 1934 in Holland zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Die angedrohte Abschiebung nach Deutschland konnte nur durch internationale Proteste verhindert werden. Noch im selben Jahr erschien das Buch unter dem Titel Murder – Made in Germany auf dem englischen und US-amerikanischen Buchmarkt.

Die weiteren Exilstationen Liepmans waren erneut Frankreich, dann England. 1937 kam er – als Staatenloser – in die USA. Zwei Jahre zuvor, 1935, war er gemeinsam mit Bertolt Brecht, Nachum Goldmann, Rudolf Hilferding, Kurt Hiller, Max Hodann, Erika Mann, Erich Ollenhauer, Justin Steinfeld, Friedrich Wolf u.a. ausgebürgert worden. In der Begründung hieß es: „Heinz Liepman, jüdischer Schriftsteller, treibt in aller Welt üble Greuelhetze.“

Als Mitarbeiter von Time kehrte er 1947 nach Deutschland zurück. Seit 1959 arbeitete Liepman für Die Welt. In ihren Spalten veröffentlichte er nicht nur Literaturkritiken, sondern auch seine Artikel „Müssen wir wieder emigrieren?“, „Aber er hat doch die Autobahnen gebaut“ und „Sollen wir wieder unser eigenes Nest beschmutzen?“ Es waren zeitkritische Auseinandersetzungen mit dem alten Antisemitismus und dem neuen Philosemitismus, der politischen Restauration der 50 und 60er Jahre. 1961 erschienen sie im Ner-Tamid-Verlag unter dem Titel Ein deutscher Jude denkt über Deutschland nach.

Noch im gleichen Jahr zog er mit seiner Frau nach Zürich, er selbst nannte es seine „zweite Emigration“. Zur Erklärung schrieb er an einen Kollegen: „Aus Gründen, die Sie verstehen werden und die hauptsächlich damit zu tun haben, daß man als gebranntes Kind labiler und sensitiver geworden ist gegenüber Dingen, die sich in Deutschland entwickeln, habe ich Deutschland 1961 wieder verlassen.“

Heinz Liepman starb am 6. Juni 1966. Kurz vor seinem Tod erschien die von ihm herausgegebene Dokumentation Kriegsdienstverweigerung oder Gilt noch das Grundgesetz, eine politisch-moralische Auseinandersetzung mit der Remilitarisierung Deutschlands. Dem Buch war als Motto ein Satz Albert Camus' vorangestellt: „Die Aufgabe des Schriftstellers läßt sich nicht von schwierigen Pflichten trennen. Seiner Bestimmung gemäß kann er sich heute nicht in den Dienst derer stellen, die Geschichte machen: er steht im Dienste derer, die sie erleiden.“ Ein gutes Zitat, um den Schriftsteller und Journalisten Heinz Liepman selbst zu charakterisieren. Wilfried Weinke

Im Rahmen der Jüdischen Kulturtage hält Wilfried Weinke heute abend, 19 Uhr, HWP, Raum S30, einen Vortrag über „Jüdisches Leben im Grindelviertel“