: Alt und alltäglich
■ Experten über Gewalt gegen Schwule Von M. -P. Schaar
Gewalt gegen Schwule ist alltäglich und so alt wie die staatliche Verfolgung und gesellschaftliche Diskriminierung. Jetzt hat der Schwulenverband Deutschland e.V. (SVD) eine Kampagne gegen antischwule Gewalt gestartet und bundesweit mehrere Anti-Gewalt-Projekte initiiert. Hamburg ist ein Schwerpunkt, denn hier fehlen entsprechende Opferhilfen und Beratungsmöglichkeiten gänzlich. Der erst im Februar diesen Jahres gegründete Hamburger Landesverband des SVD legte nun eine umfassende Zustandsbeschreibung vor, die am Mittwoch abend bei einem Experten-Hearing im Magnus-Hirschfeld-Centrum (MHC) vorgestellt wurde.
Für Volker Beck, grüner Bundestagsabgeordneter und Bundessprecher des SVD, ist klar, daß „Hamburg im Vergleich zu anderen Städten Entwicklungsland ist.“ Obwohl in der Hansestadt seit 1985 allein fünfzehn Schwule ermordet wurden, fehle der hiesigen Schwulenbewegung bislang die Motivation aktiv zu werden. Einen ersten Befragungsversuch in der schwulen Szene startete der Infoladen Hein & Fiete 1991, doch von 10.000 verteilten Fragebögen kamen nur 30 beantwortet zurück.
Der Historiker Hans-Georg Stümke verwies darauf, daß Opfer die Gewalterfahrungen zumeist als „persönliches Versagen“ begreifen und die Täter nicht anzeigen würden. Michael Schaaf vom Berliner Projekt „Schwules Überfalltelefon“ sagte, daß sich statistisch nur neun von hundert Betroffenen melden und noch weniger bei der Polizei Anzeige erstatten, dabei nehme der Trend zur Gewalt noch zu. Binnen zehn Jahren ist ein Drittel der schwulen Bevölkerung durch Raub, körperliche Gewalt und Beleidigungen bedroht. Ein Problem ist das belastete Verhältnis von Schwulen zur Polizei. Historisch gehört die Ordnungsmacht zu den Verfolgern. „Die provokativen Ermittlungen der Polizei gegen Schwule haben zu einem Grundmißtrauen geführt“, so der Bremer Sozialwissenschaftler Prof. Rüdiger Lautmann. Rüdiger Bredthauer von der Hamburger Polizei konstatierte: „Es gibt keine Beziehung zwischen Polizei und Schwulen.“
In Berlin ist seit fünf Jahren Heinz Uth uniformierter Ansprechpartner für Gleichgeschlechtliche. In der Hauptstadt habe man – wie in San Francisco und Amsterdam – versucht, eine „weltstädtische Polizei“ zu schaffen, die durch offene homosexuelle PolizistInnen in den schwulen Szenen akzeptiert werde. „Das Argument auf den Wachen ,Wir haben keine Zeit', lasse ich nicht gelten“, rügte Uth mangelnde Opferbetreuung.
Der SVD Hamburg will beim Senat das „Projekt zur Bekämpfung antischwuler Gewalt“ beantragen, das auf vier Säulen ruht: 1. Überfalltelefon und Opferversorgung, 2. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention, 3. Dokumentation und begleitende Forschung und 4. Polizeikooperation mit einem Schwulenbeauftragten. Es könnte Mitte 1996 starten und würde 400.000 Mark pro Jahr kosten. Die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete, Petra Brinkmann, erteilte einer Finanzierung des Projekts durch die Stadt eine klare Absage: „Für neue Projekte ist kein Geld da.“ Sie kündete aber eine aufklärerische Flugblattaktion der Innenbehörde an.
Volker Beck verwies darauf, daß die Polizei nur kooperativ mit schwulen Projekten tätig werden könne: „Die Opferhilfe kann aber nicht von bestehenden Einrichtungen zusätzlich geleistet werden!“ Trotz Sparzwangs sollten „keine halben Sachen gemacht werden“. Der Berliner Publizist Jens Dobler sagte es drastisch: „Der Hamburger Senat stellt sich auf die Seite der Schwulenticker, wenn er diese Lücke nicht schließen will!“
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