Rot mit Rot: Erste ernsthafte Gespräche beginnen

■ Heute wollen SPD und PDS in Schwerin herausfinden, ob sie für eine Regierung taugen. Die alten PDSler verlangen unverhohlen nach der Macht, die Jungen wollen erst die Revolution

Schwerin (taz) – „Für eine gerechte Republik. PDS“. So stand es auf dem Plakat, und die Frau darunter auf der Bühne schien jeden Buchstaben zu verkörpern. „Systemoppositionell“, „anti-kapitalistisch“, „anti-rassistisch“ und was es sonst noch so an linken Werten gibt müsse die PDS bleiben. Dies schärfte Sabine Jünger, 25, Abgeordnete im Schweriner Landtag, ihren Genossen ein. Nur eins dürfe die PDS in Mecklenburg-Vorpommern trotz des guten Landtagsergebnisses von 24,4 Prozent nicht: eine Koalition mit der SPD eingehen. Das war auf dem PDS-Parteitag am vergangenen Wochenende.

PDS-Landeschef Helmut Holter dürfte sich der Worte seiner Parteigenossin Jünger besonders erinnern. Wegen ihr und sechs weiteren Weltverbesserern, die auf dem Parteitag die Mehrheit der Delegierten für sich gewannen und den Landesvorstand überstimmten, muß Holter ab heute ergebnisoffene Verhandlungen zur Bildung einer Regierung mit der SPD führen. Opposition und Tolerierung einer SPD-Minderheitenregierung stehen dabei als gleichberechtigte Verhandlungsergebnisziele neben dem klassischen Regierungsbündnis. Das würde kaum eine andere Partei mit sich machen lassen. Aber die PDS ist erstens nicht die Grünen, und zweitens ist die PDS zu jung, als daß Flügelkämpfe bereits ausgetragen sein könnten. Besonders bitter für Landeschef Holter ist indes: Zur Durchsetzung seines Koalitionsantrags fehlte ihm auf dem Parteitag nur eine einzige Stimme.

Doch die andersdenkenden Genossen haben auch jetzt, eine Woche nach dem Parteitag, alles andere als ein schlechtes Gewissen, weder dem Landeschef noch ihren Wählern gegenüber. Nein, behauptet die Mitunterzeichnerin des Gegen-Antrags, Astrid Zimmermann, Kreisgeschäftsführerin in Greifswald, Holters Verhandlungsposition sei „keineswegs geschwächt“. Sollte am Ende eine Tolerierung herauskommen, müsse die PDS sich inhaltlich nicht verbiegen: „Denn das heißt ja nicht, daß wir jede Entscheidung der SPD mittragen würden.“ Sprich: Die unangenehmen Beschlüsse müßte die SPD schon allein oder mit der CDU fällen, derweil sich die PDS die Hände in Unschuld waschen könnte.

Wie rechtfertigt man einen solchen Egoismus gegenüber immerhin einem Viertel der Wähler von Mecklenburg-Vorpommern, die sich von ihrem PDS-Votum einen Politikwechsel erhofften? Zimmermann duldet diesen Vorwurf nicht: „Wir wurden wegen unseres Wahlprogramms gewählt.“ Viele haben – bemüht, den Vorwurf loszuwerden, lediglich Nachfolgepartei des SED-Unrechtsregimes zu sein – schlicht Angst, plötzlich in die Rolle der Bösewichte gezwungen zu werden: „Auch ein PDS-Innenminister müßte abschieben“, gruselt es Sabine Jünger, die Konsequenzen möglicher Kompromisse aushalten zu müssen.

Die Kreisvorsitzende aus Neubrandenburg, Irina Parlow, kritisiert, daß viele, die jetzt „uneingeschränkt Regierungsbeteiligung fordern, vor allem aus dem SED- System stammen“. In dem geradezu zwanghaften Bestreben, tunlichst immer zu den Guten der Gesellschaft zu gehören, wird der sachte Hinweis auf drohende Folgen dieser Nicht-Positionierung, wechselnde parlamentarische Mehrheiten und eine instabile Landesregierung, als unsittliches Ansinnen abgetan. „Sie denken doch bloß in den Schablonen von 40 Jahren Bundesrepublik“, schnaubt der Landtagsabgeordnete Gerhard Bartels. Für Frithjof Selz, der auf dem Parteitag gegen den Landesvorstand stimmte, obwohl er dessen Mitglied ist, geht es zudem um die Glaubwürdigkeit der PDS: „Wir müssen unterscheiden zwischen Selbstaufgabe und Kompromiß“.

Der Maßnahmenkatalog, den die PDS als Grundlage der Verhandlungen mit der SPD verabschiedet hat, sei „schon eine Reduktion der Reduktion“. Auch die finanzpolitische Sprecherin Angelika Gramkow verschließt sich vor real existierenden Haushaltszwängen und fordert unbeirrt, daß es „erst um Inhalte, dann um Finanzen gehen muß“. Das Scheitern möglicher Verhandlungen wird dabei billigend in Kauf genommen. Fast scheint es, als hätten viele angesichts des guten Wahlergebnisses plötzlich kalte Füße bekommen, diese Verantwortung zu übernehmen. „Es ist die Frage, ob man, wenn man an Wahlen teilnimmt, auch regieren muß“, sagt Sabine Jünger.

Nur, hat die PDS das System, gegen das sie zu opponieren vorgibt, nicht längst anerkannt, indem sie sich bei den Wahlen hat aufstellen lassen? „Ach“, seufzt Landesvorständler Frithjof Selz, „wir sind auch keine Mönche, die sauber durchs Leben gehen können.“ Heike Haarhoff