■ Lange warten und kurz diskutieren beim Schnellfriseur
: Maximal fünfzehn Minuten

Friseure sind Götter, und mit Göttern spaßt man nicht. Wenn sie dich nicht mögen, sind die nächsten zwei Monate gelaufen. Manchmal aber, wenn sie gut gelaunt sind, können sie Gedanken lesen. Dann wissen sie genau, warum der Hinterkopf so platt ist, und hören sich geduldig die letzten Trennungsgeschichten an. „Bad hair days“ sind manchmal das Schlimmste, was es gibt. Und Friseure die einzige Rettung.

Bei den „headhuntern“ am Prenzlauer Berg ist man sich da auf den ersten Blick nicht so ganz sicher. Hier trinken die Götter Bier und haben auch mal Ringe unter den Augen. Gedanken lesen wollen sie schon gar nicht. Schnell soll es gehen. 15 Minuten maximal. Einheitspreis: zwanzig Mark.

Es sieht aus wie nach einer Party im Berliner Aquarium. Zwei Fensterfronten, zwei Spiegelfronten. Kippen auf dem Boden, Flaschen in der Ecke, Elektromusik und die üblichen Partygäste, die auch am nächsten Morgen noch nicht gehen wollen und schlaff in den Sitzen hängen. Es riecht nach Haarspray. Ein Pärchen sitzt händchenhaltend auf dem Boden, daneben eine hibbelige Armeehosenfrau, am Fensterbrett lehnt einer, der sein Referat für den Nachmittag auswendig lernt. Plötzlich gongt es. Meldestelle, Sozialamt – schießt es einem durch den Kopf. Ungutes Gefühl. Am Eingang des Ladens steht ein Nummernautomat. Ich bin A75. „Gong“. Die Leuchtanzeige überm Spiegel springt um: A63 löst sich von seiner Freundin und steuert auf das einzige Waschbecken im Raum zu. Hier legt ein waschechter Einzelhandelskaufmann Hand an. Seinen Namen will er nicht sagen, Publicity findet er doof. Die Arbeitsbereiche bleiben strikt getrennt. So geht's am schnellsten. Waschen, Schneiden, Färben. Fönen muß jeder selbst, Dauerwellen gibt es nicht.

„Wenn wir mehr anbieten würden, ginge unser Konzept nicht auf.“ Detlef Hünnecke hat seine Idee des „Fast-Cut-Friseurs“ vor sechs Monaten aus Bremen nach Berlin importiert. „Wir reduzieren den Friseur auf die einfache Dienstleistung. Klar beraten wir und machen Vorschläge. Aber bei uns wird nicht ewig rumdiskutiert. Das Resultat ist, daß die Kunden uns wirklich richtig vertrauen und uns machen lassen.“ Die Idee kam Hünnecke nach einem Love-Parade-Wochenende. „Einen Friseur nur für Raver. Ich wollte Leuten in angenehmer Atmosphäre einen professionellen Haarschnitt für wenig Geld anbieten.“

Das Gespür war richtig. Der Bremer Laden, den Hünnecke Ende 1996 eröffnete, lief so gut, daß er das „headhunter“-Prinzip als Patent anmeldete. Zwei Gründe sind seiner Meinung nach für den Erfolg verantwortlich. „Zum einen haben die Leute echt einfach weniger Geld, und zum anderen ist Schnäppchenmachen mittlerweile cool – und eine Frisur für 120 Mark uncool.“ Bei „headhunter“ geht keiner unter die Sonnenbank oder träumt von einer Kreuzfahrt. Hier zeigt man sich die entzündeten Piercings und frischen Tattoos, die Berufsbezeichnung lautet in der Regel „Jobben“.

An manchen Tagen ist der Ansturm auf den Berliner Schnellfriseur so groß, daß das vierköpfige „headhunter“-Team im Akkord arbeitet. Eine halbe Stunde Wartezeit hatte Detelef Hünnecke einst eingeplant. In Stoßzeiten können es inzwischen aber schon mal zwei Stunden werden. Martin, der Referent, findet es dennoch „total entspannend hier. Wie in einer großen WG, aber keiner kennt sich.“ Und auch Sonja, die Frau mit der Armeehose, stört sich nicht an den Wartezeiten. „Die Musik ist geil, und ich guck' halt gerne Leute. Außerdem kann man hier rauchen. Es ist wie im Café, wo jeder alleine hingeht.“

Damit die „headhunter“-Rechnung aufgeht, muß jeder Mitarbeiter mindestens zwanzig „Köpfe“ pro Tag schneiden. Die 21jährige Sarah ist seit zwei Monaten dabei. Ihr Grundgehalt wird alle drei Monate anhand ihrer Schnittquoten errechnet. Bei zwanzig Köpfen liegt sie leicht über dem gesetzlichen Tariflohn von 1.600 Mark brutto. Sarah schafft dreißig bis vierzig Köpfe am Tag: Je mehr sie schneidet, desto mehr Provision gibt es. „Klar ist das manchmal Streß, aber durch den Anreiz kommt man mal aus dem Hintern“, sagt sie. Ob sie das weiter durchhält? „Auf Dauer geht das schon ganz schön in die Knochen. Aber im Moment ist mir das egal. Ich wollte schon immer bei einem Friseur arbeiten, bei dem man sich fühlt wie in Amsterdam.“

Gong: A75. Das bin ich. Was wollte ich noch mal? Irgendwie mehr nach Haarschnitt soll es aussehen. Aber wie erkläre ich das möglichst schnell? „Also...“ – „Ich mach dir 'nen Vorschlag“, unterbricht mich Sarah, „wir schneiden die Haare hinten an und vorne glatt ab.“ Die Stimme ist ungeduldig. Ich versuche noch zu erklären, wie es auf keinen Fall aussehen soll. Schnell – ich will nicht nerven. Nach zehn Minuten ist alles vorbei. Mir ist ein bißchen unwohl. Schon fertig? Außerdem gleicht der Schnitt eher der Variante, die es auf keinen Fall sein sollte. Sarah und ich tauschen wortlos die zwanzig Mark aus. Zum Föhnen hab' ich keine Lust mehr. Kerstin Kohlenberg