Die Pauke wird krankenhausreif geschlagen

■ Musizieren ist gefährlich. Ein Kongreß über Musikermedizin in der Hochschule der Künste klärt über tabuisierte Leiden – Geigerarme, Verrenkungen oder blutende Flötistenlippen – auf.

Die Zuhörer im Konzertsaal wissen von nichts, sitzen unschuldig in ihren Sesseln und lauschen den sinfonischen Klängen eines alten Meisters. Sie genießen und entspannen und sind sich in keinster Weise bewußt, daß sie gerade Schwerstarbeitern bei der qualvollen Ausübung ihres Berufes zuhören.

Sie wissen nichts von den Lippenkrämpfen der Flötistin, den schmerzenden Händen des Bassisten, ahnen nichts von den verkrampften Fingern der Pianistin und vom Herzrasen der ersten Geige, deren Lampenfieber schiere Panik ist. Und sie kennen auch nicht den Sturm, der im Orchestergraben tobt. Nein, von alldem weiß das Publikum nichts und entläßt die Geschundenen mit tosendem Applaus – bis zum nächsten Abend.

Diese Unkenntnis soll nun ein Ende haben. Dazu will der Europäische Kongreß für Musikermedizin, der noch bis Sonntag in der Hochschule der Künste stattfindet, beitragen. Rund 400 Mediziner, Musiker, Psychologen und Pädagogen hat die „Deutsche Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin“ nach Berlin eingeladen, um die gesundheitlichen Folgen des Musizierens zu diskutieren.

„Für die meisten Musiker ist das Thema ein Tabu“, sagt Ulrich Marquard vom Institut für Arbeitsmedizin der Freien Universität. Aus Angst vor der Konkurrenz würden Schmerzen ignoriert und ein lebenslanges Leiden in Kauf genommen.

Da die Gehörschäden, Schmerzen, Allergien und Spielängste nicht behandelt werden, sind sie auch bei den Medizinern weitgehend unbekannt. Jeder Arzt kennt den Tennisarm bei Profis aus dem Center Court, wenige dagegen haben jemals einen Geigenarm gesehen.

Die Musikermedizin ist aus diesem Grund bislang ein Pionierbereich im Gesundheitswesen. Und das, obwohl allein in Deutschland drei von vier Berufsmusikern über arbeitsbedingte Gesundheitsschäden klagen, wie einer der Pioniere, der Musikphysiologe Eckart Altenmüller von der Hochschule für Musik und Theater in Hannover, sagt. Vor allem chronische Muskelverspannungen muß er in seiner Mainzer Musikerambulanz behandeln.

Am gefährlichsten sind nach Auskunft der Experten jene Instrumente, die zum Spielen eine in welcher Form auch immer verdrehte Körperhaltung voraussetzen, wie etwa die Bratsche oder die Geige. Aber auch Gitarristen, Harfisten und Pianisten seien stark gefährdet, da ihre Instrumente schwierig zu spielen seien und deshalb ein überdurchschnittlich langes Üben erforderten. Aber prinzipiell hat jedes Instrument sein eigenes Gefährdungspotential.

Beispiel Querflöte. Als Anne Meyer-Schwickerath vor zwanzig Jahren mit dem Flötenspiel begann, war noch alles in Ordnung. Doch bald schon führte die unnatürliche Kopf- und Armhaltung beim Hantieren mit der Querflöte zu Schmerzen im Nacken und in den Schultern.

Als diese immer schlimmer wurden, verlor die junge Musikerin mehr und mehr den Spaß an der Sache. Doch anstatt ihr Hobby an den Nagel zu hängen, macht Anne Meyer-Schwickerath Nägel mit Köpfen. Kurzerhand zersägt sie das Flötenkopfstück in drei Teile und schweißt diese so verwinkelt wieder zusammen, daß sie fortan die Querflöte gerade halten kann. „Seitdem fehlt der Störfaktor Schmerz“, sagt sie.

Bei Profimusikern allerdings kommt ihre patentierte Flöte nicht gut an. Obwohl der Klang, wie sie versichert, nur vernachlässigbar anders sei, „haben die meisten ein Problem mit der Ästhetik.“ Wer schön sein will, muß leiden. Thomas Müller