Prozeß gegen Zigarettenmafia glimmt weiter

■ Der Mammutprozeß gegen Zigarettenmafia geht weiter. Aussetzung gestern abgelehnt. Beobachter halten Verfahren mit 14 Angeklagten, 28 Verteidigern und Heerscharen von Dolmetschern und Sicherheitsb

Der Mammutprozeß vor dem Berliner Landgericht gegen 14 mutmaßliche Mitglieder der vietnamesischen Zigarettenbande „Ngoc Thienh“, der größten Gruppierung im Kampf um die Vormachtstellung im illegalen Zigarettenhandel, geht in eine neue Runde. Die 45. Große Strafkammer lehnte gestern den Antrag der Verteidigung auf Aussetzung des Verfahrens ab. Wäre dem Antrag stattgegeben worden, hätte der schon einmal geplatzte Prozeß zum dritten Mal völlig von vorn beginnen müssen. Alle Aussagen an den bisher 43 Verhandlungstagen hätten keinen Bestand gehabt.

Vor dem Berliner Landgericht sind die 14 Vietnamesen wegen neun Morden, wegen Waffenbesitz, räuberischer Erpressung, Freiheitsentziehung und Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Den Männern wird auch der Sechsfachmord vom Frühjahr 1996 in einem Marzahner Hochhaus zur Last gelegt.

Die Ngoc-Thienh-Bande hatte laut Anklageschrift bis zu ihrer weitgehenden Zerschlagung etwa zwei Drittel der Berliner Zigarettenverkäufer abkassiert. Bisher hat im Gerichtssaal die Hauptbelastungszeugin, eine Vietnamesin, die von der Bande laut Anklageschrift gefangengehalten wurde, die Angeklagten schwer belastet.

Beinahe wäre das Strafverfahren wegen einer Lächerlichkeit geplatzt: Der Einlaßdienst im Gerichtssaal hatte der Praktikantin einer Anwaltskanzlei den Zutritt zum Verfahren nicht in vollem Maße gewährleistet. Wird die Öffentlichkeit vom Verfahren ausgeschlossen, so ist das ein Revisionsgrund, führte sie aus. Der Vorsitzende Richter Ralf Körner lehnte den Antrag ab, weil die Kammer keine Schuld an dem Versehen des Justizwachtmeisters treffe.

Trotz des nichtigen Anlasses steht hinter der Panne ein ernsthaftes Problem. Prozeßbeobachter halten das Mammutverfahren – 14 Angeklagte, 28 Verteidiger, eine Heerschar von Dolmetschern und Sicherheitsbeamten – für kaum führbar. Auch die zweijährige Einzelhaft hat den schweren Jungs große gesundheitliche Schäden zugefügt. „In einer solchen Situation wird fast jeder Mensch verrückt“, führt Verteidiger Henning Spangenberg aus. Die Folge: Die Angeklagten können der Gerichtsverhandlung kaum folgen, sie schlafen ein oder verlieren das Bewußtsein. Obwohl die Vollzugsbedingungen in den letzten Monaten durch psychologische Betreuung verbessert wurden, wurde die Verhandlungsfähigkeit schon zweimal herabgesetzt. Derzeit muß nach dreieinhalb Stunden abgebrochen werden. Sollten die „Stammheim-Verhältnisse unter den Berliner Möglichkeiten“, wie es Verteidiger Frank Sommer nennt, anhalten, könnten die Angeklagten verhandlungsunfähig werden.

Viel besser als den Angeklagten ergeht es allerdings auch der Zeugin nicht. Seit zwei Jahren verbringt sie ihre Zeit mit Personenschutzbeamten an einem Ort, den nicht einmal ihre Anwältin kennt. Was nach der Verhandlung aus ihr wird, ist völlig offen. Zeugenschutzprogramme versagen bei ausländischen Zeugen ohne Aufenthaltsrecht. Marina Mai