Eine ziemlich attraktive Hure

■ Reklame zwischen Widersprüchen, Abgebrühtheit und Kunstwillen: Themenabend „Das ABC der Werbung“ (Sonntag, ab 20.45 Uhr, Arte)

Und Warhol sprach: Die neue Kunst heißt Business. Sigmar Polke predigte später den „Kapitalistischen Realismus“ und machte aus Ikonen der Warenwelt ironische Spiegel der Künstlerhybris. Daß Kunst und Werbung seit je aus kapitalen Interessen flirten, ist kein Geheimnis. Und die Werbefilme mancher Filmkünstler sind ausgekochter, als Beuys ahnte, der meinte, Kunst werde nur in dem Moment zur Ware, in dem sie den Besitzer wechselt.

Der Arte-Themenabend „Werbung“ dreht sich um das Kalkül designierter Marktwirtschaft, aber auch um die unstrittige Attraktion der Werbeclips. Nach der Persiflage „Haferbrei macht sexy“ von Jim Clarke präsentierte Arte die 170minütige Dokumentation von Hermann Vaske, Teil zwei seiner Millenium-Trilogie: „The A–Z of Separating People From Their Money“. Eine ausgiebige Umfrage unter prominenten Werbern, Regisseuren und Künstlern, die in pointierter Montage einen vielstimmigen Chor rund um die Gretchenfrage „Wie hältst du es mit der Werbung?“ arrangiert. Dennis Hopper moderiert mit bewährter Aasigkeit und effektsicheren Sprachspielen durch dieses ABC der verkaufsorientierten Ästhetik.

Mit dem fäkalischen Sortiment frühkindlicher Produktpremieren läutet er zur Bedeutungstombola mit Zauberwörtern wie Globaliserung und Dekonstruktion. Da verhält es sich mit postmoderner Werte-Willkür wie mit einem Haufen, vorausgesetzt jemand hat ihn zum käuflichen ready made gekürt. Aber wer ist der Künstler? Der Produzent, der Bedeutungsstifter oder der, der mittenrein tritt? Der Zyniker besiegt den Ästheten. Und manchmal ist es umgekehrt. Je nachdem, ob Emir Kusturica Michelangelo als potentiellen Nike-Werber verpflichtet oder Abel Ferrara mit „Man muß seine Scheiße auf den Markt tragen“ eine schlichte Formel findet.

Vaske erspart uns die ausgetretenen Wege der Pop-Hermeneutik, die längst offene Türen einrennt, um gegen kulturelle Hierarchien anzustürmen und Sub- und Massenkultur sich in die Arme fallen zu lassen. Er archiviert, was da ist. Widersprüche, Abgebrühtheit oder hehre Ambitionen. Dabei läßt seine Dokumentation keinen Zweifel daran, daß sich alle Erfindungen, Illusionen und Phantasien im Angebotsrahmen der Industrie bewegen. Deswegen muß man in einer Autowerbung noch lange nicht „Zen“ finden, wie Wayne Wang, der mit einer solchen Überspitzung seine Versöhnung mit dem Gewerbe feiert. Soll er doch, mit einer Maschinengewehrsalve „Der hat wohl einen Kurzschluß im Hirn“ wird er von dem japanischen Regisseur Kitano in der nächsten Einstellung abgeschossen. Erfolgreiche Selbstmörder in seinen Filmen kommentieren dann auch Kitanos komproßmißlose Antwort auf die Frage, ob er Werbung für Schußwaffen machen würde – „nur wenn die Waffe auf ihren Halter gerichtet ist“.

Betulich dagegen die französischen Kreativen, die vorgeben, ihre Kauf-mich-Botschaft mit eleganter Zurückhaltung zu verpacken. Vaske setzt dazu eine blütenzupfende Hand in den Hintergrund: Sie liebt mich, sie liebt mich nicht. Böse Hure Werbung. Aber gut sieht sie aus. Birgit Glombitza